Die Landkarte der Liebe
nicht bewusst, wer â¦Â«
Sie rührte sich nicht. Nach einer Weile trat er beiseite und sagte: »Ist wohl besser, wenn du reinkommst.«
Sie folgte ihm durch eine kühle weiÃe Eingangshalle bis zu einer eleganten Küche. Eine L-förmige Granitplatte zog sich an den Wänden entlang, in schlichten Vitrinen funkelten edle Weingläser und zartweiÃes Geschirr. Die meisten Küchengeräte waren aus Edelstahl: ein schnurloser Wasserkocher, ein Doppelofen mit Digitaluhr, ein Kühlschrank, so groà wie Mia selbst. Die Wände, ebenfalls weiÃ, waren nackt, abgesehen von einer elektrischen Gitarre, die in eine Uhr umfunktioniert worden war, und vier unauffälligen Bose-Lautsprechern, aus denen ein Song von Neil Young ertönte.
Mick nahm eine flache Fernbedienung, die auf dem gläsernen Esstisch neben Zeitschriften, Notenblättern und einem Stapel Post gelegen hatte, und stoppte die Musik. Er schien erschüttert. »Das ist eine Ãberraschung.«
Mia hatte die Sprache noch nicht wiedergefunden. Ihre Wangen wurden heiÃ.
»Setz dich raus auf die Terrasse«, sagte er und wies auf eine Doppeltür, die sich zu einem gepflegten Garten hin öffnete. »Drinks. Wir brauchen was zu trinken.«
Mia ging nach drauÃen. Es zog sie zum Ende des Gartens, zu einer niedrigen Steinmauer, der einzigen Grenze zwischen Strand und Grundstück. Sie atmete tief ein, die Luft roch frisch und salzig. Im Abendlicht konnte sie gerade noch den fernen Horizont erkennen, ein verwaschenes Blau, das zu einem dunklen Violett verlief. Irgendwo in der Ferne donnerten die Wellen, Mia konzentrierte sich auf den vertrauten Klang.
»Wundervoll, nicht wahr?«, sagte Mick, als er zu Mia trat. Er reichte ihr ein groÃes Glas mit einer klaren Flüssigkeit und beobachtete, wie Mia daran nippte. Es war kalt, süÃ, alkoholisch und genau das, was sie in diesem Moment brauchte.
Sie gingen zurück auf die Veranda. Mia nahm an einem Tisch Platz, aus dessen Mitte ein Sonnenschirm ragte. Mick legte sein Handy, bevor er sich setzte, auf den Tisch. Ein kleines blaues Licht blinkte alle paar Sekunden auf. Dann zog er eine Packung Zigaretten und ein Feuerzeug aus seiner Tasche. »Rauchst du?« Seine Finger zitterten.
»Nein.«
Er zündete die Zigarette an, inhalierte tief und schloss die Augen. Das erlaubte Mia, ihn in Ruhe zu betrachten. Er unterschied sich dramatisch von dem smarten jungen Mann im Anzug auf dem Foto. Seine Arme waren schlaff, unter seinem Hemd wölbte sich ein Bauch. Die Haut an seiner Nase war dünn und gerötet, seine Augenlider wirkten schwer.
Mick blies den Rauch in die Nacht; mit der Zigarette in der Hand fand er seine Fassung wieder. »Und«, sagte er und beugte sich vor, um in eine hölzerne Schale zu aschen, »bist du allein in Maui, oder ist Katie bei dir?«
Der Name ihrer Schwester kam zu früh. »Ich bin mit einem Freund hier.«
Er nickte. Aus Enttäuschung oder Erleichterung?
»Wo wohnst du?«
»Im Pineapple Hostel.«
»Kenn ich. Ist gleich hier um die Ecke.« Mick legte den linken Arm auf die Rückenlehne seines Stuhls. »Und, hast du vor, länger hier zu bleiben, oder bist du auf der Durchreise?«
Das war kein Small Talk, sondern eine Befragung: Mit wem war sie hier? Wie lange wollte sie bleiben? Und vor allem: Was wollte sie von ihm? »Ich reise ein bisschen durch die Welt«, erwiderte Mia. »Wir waren erst in Kalifornien. Dachten, Maui ist ein guter Zwischenstopp. Von hier aus gehtâs nach Westaustralien.« Ihre Kehle war eng und trocken. Sie nahm ihr Glas und hielt es so lange an den Mund, bis ein Eiswürfel an ihre Zunge glitt.
»Wir?«
»Ich und Finn â mein bester Freund.«
Mick sagte nichts. Das Schweigen dehnte sich aus. Mia schaute in ihr Glas. Sie hatte erwartet, dass die Sätze nur so sprudeln würden â sie hatten sich doch so viel zu erzählen nach all den Jahren â, aber nun, da sie vor ihm saÃ, wusste sie nicht, wo sie anfangen sollte.
Stumm leerten sie die Gläser. Mick drückte seine Zigarette aus, ging in die Küche und kehrte mit neuen Drinks sowie zwei ZitroÂnella-Kerzen zurück. Ein fruchtiger Geruch zog durch die Nacht. Mick trank hastig, der Alkohol floss rasch durch seine Kehle. Darin erkannte Mia eine erste Ãhnlichkeit.
»Ich hab gehört, dass eure Mutter gestorben ist«, sagte er.
Woher?
»Das
Weitere Kostenlose Bücher