Die Landkarte der Liebe
hat?«
»Ich habe es gelesen. In ihrem Tagebuch. Sie hat geschrieben, dass sie hergekommen ist â und du sie fortgeschickt hast.«
Seine Augen weiteten sich. »Sie ist doch wiedergekommen â ein paar Tage später.« Er legte die Hände in den Nacken. »Mein Gott! Dass du das nicht weiÃt!«
Er stürmte auf die Terrasse, dann kam er wieder zur Tür, als würde er verzweifelt einen Halt suchen. »Mia war wütend. Sie wollte Antworten. Was hätte ich denn tun sollen? Ihr die Tür ein zweites Mal vor der Nase zuschlagen â oder mich ihren Fragen stellen?«
Katie war speiübel. Sie drehte sich zum Spülbecken und atmete langsam durch die Nase. Ein Telefon begann zu schrillen. Niemand rührte sich. Als es schwieg, wandte sich Katie wieder an Mick. »Bin ich deine Tochter?«
»Ja«, antwortete er, »das bist du.«
Was für eine bittere Wahrheit. Katie konnte sich vorstellen, was das bei Mia ausgelöst hatte, als sie das Fundament ihrer Familie erschüttert sah. Plötzlich verachtete sie Mick â sie konnte ihn nicht mehr ertragen. Es schnürte ihr die Kehle zu. Sie brauchte Raum, um nachzudenken.
»Das alles tut mir sehr leid«, sagte er, und Katie sah ihm an, dass dies die Wahrheit war.
Sie ging aus der Küche, durch die Halle, sie wollte nur noch fort.
»Katie â«
Sie blieb stehen, wandte sich aber nicht um.
Seine Stimme klang zaghaft. »Werde ich dich wiedersehen?«
Da wandte sie sich um und sah ihn an. Er verkörperte keine ausgelassenen Momente aus Kindertagen mehr. Vor ihr stand ein Mann von beinah sechzig Jahren, der die meiste Zeit ihres Lebens nicht da gewesen war. Katie war ohne ihn aufgewachsen, sie war ihren Weg mit einer Mutter und einer Schwester gegangen, die sie liebte. Er war zu spät. Sie schüttelte den Kopf.
Mick presste die Lippen zusammen und nickte.
Ihr war in diesem Moment nur eines wichtig, sie wollte wissen, wie es Mia ergangen war. Sie stieà die Tür auf, und noch auf der Auffahrt lief sie los.
Sie rannte zurück, so schnell sie konnte. Sie eilte an einer Frau mit zwei grauen Hunden an leuchtend roten Leinen vorbei, an einem Surfshop, vor dem die Bretter warteten, und an einem Touristen, der in einer fremden Sprache telefonierte. Sie kämpfte sich durch zähe Hitze, ihre FüÃe wurden feucht, das Kleid klebte an ihren Beinen. Als sie endlich im Hostel war, stürmte sie in den Schlafsaal, ohne sich um den jungen Mann zu scheren, der in das Headset seines Laptops sprach.
Sie riss Mias Tagebuch aus dem Rucksack und legte es auf ihr Bett. Sie blätterte vor bis zu der Stelle, die sie morgens gelesen hatte, und schob das halbe Foto beiseite â Mia und Katie, ausÂeinandergerissen. Sie blätterte hastig durch die Seiten, überflog einen Bericht über ein Abendessen mit Finn und eine vergebliche Fahrt zum Flughafen: Sie hatten es sich nicht leisten können, ihre Tickets umzubuchen. Dann endlich stieà sie auf einen kurzen Satz, der markiert war: Ich muss noch einmal zu ihm.
Langsam schlug Katie die Seite um, ihr war schlecht vor AufÂregung. Das konnte alles ändern. Was Mia nun erfahren würde, würde selbst den Stärksten aus der Bahn werfen. Aber was würde das bei jemandem auslösen, der noch unter dem Tod der Mutter litt und ohnehin so sensibel war, dass ihm alles unter die Haut ging? Könnte das der Auslöser für eine Abwärtsspirale sein, aus der es kein Entkommen gab?
Kapitel 10
Mia
Maui, Oktober, ein Jahr zuvor
Mia bekam keine Luft mehr. Alles füllte sich mit Wasser, sie sank, und ihr Blick trübte sich. Sie versuchte zu atmen, doch sie verschluckte sich an Worten. Micks Worten: Du bist nicht meine Tochter.
Eine halbe Stunde zuvor hatte sie noch mit Finn in einer Frühstücksbar gesessen und mit ihm die Reise durch Australien geplant. Mitten im Gespräch war Mia verstummt. Sie hatte Mick auf der anderen StraÃenseite gesehen. Er hielt einen Karton voller Gemüse in den Händen und sprach zu einem Mann mit dünnem Pferdeschwanz. Mick sagte irgendetwas, sein Gegenüber lachte, dann trennten sie sich. Mick ging in die Richtung seines Hauses.
Finn war ihrem Blick gefolgt. »Ist er das?«
»Ja.«
»Sprich ihn an.« Finns Tonfall war bestimmt, er hatte das Kinn vorgeschoben. Mia war über seine Heftigkeit erstaunt.
»Ich kann nicht.«
»Dann tu ich es«,
Weitere Kostenlose Bücher