Die Landkarte der Liebe
sie sich nicht mehr unter Kontrolle hatte, jedenfalls hob sie die Arme über ihren Kopf und schleuderte den Laptop mit aller Kraft durchs Zimmer.
Ed holte scharf Luft, dann folgte ein lautes, befriedigendes Poltern. Sein Laptop prallte gegen die Wand. Glassplitter und silberne Kunststoffscherben regneten auf den Teppich, der Monitor brach von der Tastatur ab. An der Wand zeigte sich eine längliche Kerbe.
»GroÃer Gott!«, rief er und lief zu seinem Laptop.
Katie steckte in aller Ruhe das Tagebuch ein und schwang sich dann den Rucksack auf den Rücken.
Ed starrte sie an. »Das ist nicht die Frau, in die ich mich verliebt habe.«
Katies Blick fiel auf ihr Spiegelbild. Das Haar hing ihr lose ums Gesicht, ihr Make-up hatte sich im Laufe des Tages aufgelöst. In ihren Augen funkelte die Wut. Der verblichene Rucksack mit seinen ausgefransten Gurten und seinem Versprechen auf Wanderlust und Abenteuer sah schon nicht mehr ganz so fremd aus.
»Damit hast du recht, Ed.«
Katie folgte den Schildern zur Touristeninformation. Eine MitÂarbeiterin zeigte ihr ein Hostel auf dem Stadtplan und markierte es mit einem orangefarbenen Leuchtstift: »Zu Fuà sind das ungefähr fünfzehn Minuten.«
Katie brauchte zehn. Sie kam in einen Schlafsaal, in dem sich drei junge Frauen gerade umzogen. Auf dem FuÃboden lagen Wanderschuhe und durchgeschwitzte Socken, es roch intensiv nach Deodorant. Damit sie erst gar nicht zum Nachdenken kam, fing Katie sofort ein Gespräch an. Die Dreiergruppe, zwei der Frauen kamen aus Neuseeland, eine aus Quebec, machte eine zehntägige Wanderung und hatte gerade einen Abschnitt des Cape-to-Cape, des Küstenpfads, bewältigt. Katie lieà sich von ihren SchildeÂrungen ablenken, von Geschichten über endlose Steilküsten und Grillen, die wie kleine Feuerwerkskracher aus dem Unterholz gegen die Beine der Frauen sprangen.
Eine halbe Stunde später gingen sie zu viert in eine Bar, in der es Pizza so groà wie Radkappen gab. Die drei Mädchen fielen hungrig über das Essen her, doch Katie brachte nichts hinunter. Sie trank nur Wein. Der Alkohol durchströmte sie wie warmer Sonnenschein. In der nächsten Bar bestellten sie noch mehr Drinks. Sie spielten Poker, und Katie wurde zum Naturtalent erklärt, denn sie schlug die anderen mit deren eigenen Tricks.
SchlieÃlich landeten sie in einer Bar, in der es so voll war â noch dazu spielte eine Rockband auf einer improvisierten Bühne â, dass sie schreien mussten. Sie zwängten sich um einen dreckigen Tisch voller Getränkespuren. Katie stellte ihr leeres Glas ab. Sie hatte das Gefühl, als wäre ihr Kopf nur noch flüchtig mit dem restlichen Körper verbunden.
»Habâs eben gecheckt«, sagte Jenny mit den muskulösen Waden und dem anzüglichen Grinsen, eine von Katies neuen Freundinnen.
»Der kann nicht Single sein«, erwiderte das Mädchen aus Quebec und beugte sich vor, damit die anderen sie verstehen konnten. »Der macht doch mindestens, was â zehn, zwanzig Expeditionen im Jahr? Auf irgendeiner Tour wird er doch eine Frau aufgegabelt haben.«
»Auf der Tour hier gabelt er sich wieder eine auf.« Jenny zwinkerte, alle lachten.
Katies Verlobungsring warf einen Lichtstrahl quer über den Tisch. Sie bewegte die Finger, damit das Licht verschwamm. Sie hatte sich so gefreut, als er sie damals in der schwarzen Lederschachtel angefunkelt hatte. Es war ein schlichter Platinreif mit einem Diamanten in Prinzessschliff. Sie hatte sich sofort in seine schlichte Eleganz verliebt und ihn gern mit allem, was er symbolisierte, getragen.
»Behältst du ihn?«, fragte Jenny.
»Schmeià ihn bloà weg«, sagte das Mädchen aus Kanada. »Mach ein Ritual daraus â wirf ihn unter einen Zug â, und dann denkst du dir ein letztes Mal: Verpiss dich! «
»Nein! Verkauf ihn!«, rief Jenny. »Und mit dem Geld machst du etwas, was er ganz furchtbar fände. Drogen, Alkohol, Stripper.«
Katie lachte. Ihre Lippen waren taub. Sie zerrte sich den Ring vom Finger und steckte ihn in ihr Portemonnaie. »Die nächste Runde geht auf mich.«
Sie bahnte sich den Weg zur Bar, vor der die Gäste in Viererreihen standen. Die Musiker droschen weiter wild auf ihre Gitarren ein. Eine Kellnerin hatte sich vorgebeugt, die Hand hinter das Ohr gelegt, um eine Bestellung aufzunehmen, doch auch beim zweiten Versuch
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