Die Landkarte der Liebe
Augen sehen können. Das war jene Nacht gewesen.
Ed kam mit einer Schachtel Kosmetiktücher zurück. »In der Nacht, als du mit Mia geschlafen hast«, sagte Katie mit entsetzlich ruhiger Stimme, »ist sie auf dem Badezimmerboden eingeschlafen. Ich hab sie am nächsten Morgen da gefunden.«
Ed rührte sich nicht.
»Wie betrunken war sie?«
»Wir waren beide sehr betrunken.«
Katie sah aus dem Fenster. Doch sie nahm nichts wahr. Nicht, wie der See in der späten Nachmittagssonne glänzte, und auch nicht, wie sich die Reben in perfekten Reihen in die Ferne zogen. Noch etwas war ihr eingefallen â am Abend des gleichen Tages hatte sie Risotto gekocht, und Mia war in ihrem Joggingoutfit in die Küche gekommen. Sie hatte Mia gefragt, was die Kopfschmerzen machten und ob sie ein Pflaster für den Schnitt an ihrem Knöchel bräuchte. An dem Abend hatte Mia verkündet, dass sie auf Reisen gehen würde.
Katie drehte sich zu Ed. »Nachdem sie mit dir geschlafen hatte, hat Mia dieses scheià Round-the-World-Ticket gebucht, um aus London wegzukommen!«
Er zuckte bei ihren Worten nicht zusammen; vielleicht hatte er sich schon an die neue Katie gewöhnt, die den Schalter blitzschnell von Tränen auf Wut umlegen konnte.
»Und nachdem sie mir von ihren Plänen erzählt hatte, bin ich auch noch zu dir gekommen!« Sie hatte die kalte Pfanne mit den verbrannten Zwiebeln stehen lassen. Der Geruch hatte noch tagelang in der Wohnung gehangen. »Ich war völlig auÃer mir, dass sie so lange wegbleiben wollte, und weiÃt du noch, was du gesagt hast? âºEine andere Umgebung wird ihr guttun.â¹ Ich hab mich damals gewundert, wieso du so viel Verständnis für sie zeigtest. Du hast sie doch sonst immer kritisiert, weil sie so â wie hast du es noch genannt? â, so âºimpulsivâ¹ war. Aber in Wahrheit warst du erleichtert, dass sie wegwollte.«
»Katie â«
Aber Katie war in Fahrt und lieà sich nicht mehr bremsen. »Wenn du nicht gewesen wärst«, sagte sie und wurde immer lauter, »wäre sie niemals aufgebrochen! Ich hab es immer geahnt, dass es irgendeinen Anlass gab. WeiÃt du noch, dass ich nach der Beerdigung mit dir darüber sprechen wollte? Und was hast du gesagt? âºMia ist jung und gelangweilt!â¹Â« Katie spuckte Gift und Galle. »Wenn du nicht mit ihr geschlafen hättest, wäre sie nie verreist! Nie auf Bali angekommen! Und auch nie auf diese Klippe gegangen! Das ist alles deine Schuld, Ed. Deine!«
»Jetzt hör aber auf! Ich habe Mia nicht gezwungen, mit mir zu schlafen. Und ich habe sie auch nicht gezwungen, zu verreisen oder sich von einer Klippe zu stürzen.«
Katies Augen weiteten sich. »Was sagst du da?«
»Ich sage, was die Polizei, der Gerichtsmediziner und die Zeugen glauben. Mir genügt das.«
»Aber ich bin ihre Schwester! Was, wenn ich etwas anderes glaube? Ich kannte sie besser als jeder andere Mensch.«
»Du hast doch nicht einmal gewusst, dass sie auf Bali war.«
Diese Bemerkung traf sie wie ein Schlag ins Gesicht.
»GroÃe Güte, merkst du denn nicht, wie ungesund deine Besessenheit inzwischen ist? Du hast dich auf die andere Seite der Welt geflüchtet und klammerst dich an dieses Tagebuch, als ob dein Leben daran hinge. Mia ist tot. Sie hat Selbstmord begangen. Das tut mir aufrichtig leid, wirklich, aber du solltest langsam mal den Tatsachen ins Auge sehen.«
Katie griff nach dem Nächstbesten: seinem Laptop.
»Hey, was machst du da?«
Sie hob ihn hoch.
»GroÃer Gott, Katie, nun beruhige dich doch.«
Sie spürte das Gewicht seines Computers in ihren Händen.
»Da sind all meine Kontakte drin. Das ist furchtbar wichtig für mich.«
»Und für mich ist Mias Tagebuch furchtbar wichtig.« Noch immer sah sie Eds fassungslosen Blick, als er von Mias Tagebuch erfahren hatte. Und sein Erschrecken hatte einen guten Grund gehabt, wie sie nun wusste. »Du hast mich die ganze Zeit belogen, du wolltest doch bloà deinen Seitensprung vor mir verbergen â«
»Ich wollte dich beschützen.«
»Mich beschützen? Du hast mich auch noch überredet, spazieren zu gehen â«
»Ich meine es ernst, Katie. Leg den Laptop wieder hin, bevor du irgendetwas tust, was dir hinterher leidtut.«
Vielleicht war es sein Tonfall, vielleicht die unterschwellige Andeutung, dass
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