Die Landkarte der Liebe
und über den Klippenpfad gegangen, was in ihren hohen Schuhen auf dem zerklüfteten, windumtosten Pfad ziemlich mühsam war. Dort hatte sie geweint. Der Wind hatte ihr heftiges, keuchendes Schluchzen über das Meer getragen.
SchlieÃlich aber hatte sie sich die Augen trockengewischt, das Auto vollgetankt und war rechtzeitig zu einem späten AbendÂessen mit Ed in London angekommen.
Sie blieb mitten auf der StraÃe stehen und setzte sich auf eine gedrungene Ziegelmauer. Wo Finn wohl gerade war? In London? Cornwall? Vielleicht sogar im Ausland? Hatte er einen neuen Job? Dachte auch er jeden Tag an Mia? Und dachte er gelegentlich an sie?
Sie bedauerte ihr Verhalten bei der Beerdigung. Es war unverzeihlich. Sie hatte um sich geschlagen und ihn getroffen: Aber nicht, weil er ohne Mia heimgekehrt, sondern weil er mit ihr aufgebrochen war.
Kapitel 18
Mia
Westaustralien, Februar
Mia fühlte die Wärme der Sonne an ihrer Wange, hörte ein wässriges Gluckern in der Ferne und roch Salz in der Luft. Sie schlug die Augen einen Spaltbreit auf. Vor ihren Wimpern tanzten Farben. Sie hielt zum Schutz gegen die Sonne eine Hand über die Augen und blinzelte. Blauer Himmel. Das Meer. Ein leerer Horizont. Rote Felsen.
Sie hatte auf den Felsen geschlafen.
Mit Finn.
Sie hob den Kopf, ihr Nacken war auf ungewohnte Weise steif. Finn lag neben ihr, in seinen Schlafsack eingewickelt, ein Arm zur Seite ausgestreckt. Seine Lippen waren leicht geöffnet, sein Atem ging langsam und flach. Das Licht der tief stehenden Morgensonne fiel auf Nase und Kinn, auf Stoppeln und Haut, die zart gebräunt und bei den Lippen leicht bernsteinfarben war.
Sie wurde von einer plötzlichen Erinnerung gepackt: seine Lippen auf der Innenseite ihres Arms. Dann: ihr Mund auf seinem, ihre Hände auf seinem Rücken, seine Zunge an ihren Brüsten, ihre Zähne in seiner weichen Schulter.
Sie glitt aus dem Schlafsack, sie war nackt. Es war kühl. Rasch und lautlos schlüpfte sie in ihre Unterwäsche und zog sich das Kleid über den Kopf â verkehrt herum, doch das war ihr egal. Als sie sich zu ihren Flip-Flops beugte, stieà sie mit dem Fuà gegen die leere Rumflasche. Mia erstarrte. Die Flasche hüpfte und polterte über die Felsen und blieb schlieÃlich, ohne zu zerbrechen, in einer Spalte liegen.
Finn bewegte sich, er rollte auf den Rücken und legte einen Arm über das Gesicht, doch wach wurde er nicht. Mia musterte ihn eine Weile, dann wandte sie sich ab und suchte sich einen Weg über die Felsen, die Flip-Flops in der Hand. Sie sprang hinunter auf den festen Sand und rannte los. Ihr Kopf dröhnte, aber darauf nahm sie keine Rücksicht. Sie versuchte, der Ãbelkeit davonzulaufen, die sich in ihrem Magen ausgebreitet hatte.
Sie lief ins flache Wasser, es spritzte auf, ihr Kleid wurde nass. Jedes Mal, wenn sie auftrat, hatte sie das Gefühl, ihr Kopf würde vor Schmerz zerplatzen. Dann verlieà sie den Strand über einen sandigen Pfad, der sich durch die Heide in Richtung Stadt wand.
Die Sträucher zerkratzten ihre FüÃe, sie musste ihre Flip-Flops anziehen. Als sie sich wieder aufrichtete, sah sie zurück zu den Felsen. Finns schlafende Gestalt war nur noch ein Tupfer in der Ferne. Es war nicht richtig, einfach zu verschwinden; er würde sich Sorgen machen, wenn er wach wurde und allein war, aber wie hätte sie bleiben können?
Bei dem Gedanken an die Nacht spürte sie die harten Felsen wieder unter sich. Die Worte waren ungebremst aus ihr herausgeströmt, und Finn hatte so aufmerksam gelauscht, dass es nur noch ihre Stimme und die Wellen gab. Dann hatte er zu ihr gesagt: »Mia, ich sehe immer nur dich.«
Nicht Katie. Sondern sie.
Der Drang, ihn zu küssen und geliebt zu werden, war unwiderstehlich gewesen. Seine Hände waren so sanft über sie hinweggeglitten, als ob er jeden Teil ihres Körpers seinem Gedächtnis übereignet hätte. Als wäre sie ein Trugbild. In seinen Küssen hatte eine solche Zärtlichkeit gelegen, dass es keinen Zweifel gab: Finn hatte sie immer schon gewollt.
Aber wollte sie auch ihn?
Sie stakste durch die Heide, bis die Sonne über den Baumwipfeln stand; eine rote Blase bildete sich zwischen ihren Zehen. SchlieÃlich kam sie zum Stadtrand und folgte dem Weg ins Zentrum. Die ersten Geschäfte öffneten, Stühle wurden auf den Bürgersteig gestellt. Mia wäre am liebsten gleich ins Hostel
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