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Die Landkarte der Zeit

Titel: Die Landkarte der Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Félix J. Palma
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zu Generation weitergab wie eine Fackel, deren Feuer mehr als hundert Jahre später in den Augen eines jungen Mannes brannte,
     der sich von der Erde erhob, nachdem er niedergeschossen worden war, noch einen hasserfüllten Blick auf Salomons Palast warf
     und wie für sich, in Wirklichkeit jedoch für die Geschichte, die Worte murmelte:
    «Jetzt werde ich dich töten.»
    Zögernd erst und dann entschlossenen Schritts verlor er sich in der Trümmerlandschaft, eilte seiner Bestimmung entgegen, die
     keine andere war, als Hauptmann Derek Shackleton zu werden, der Mann, der dem König der Maschinenmenschen den Tod bringen
     würde.

|318| XX
    Gilliam Murrays Worte verflüchtigten sich in der Luft wie ein Zauber, der die Anwesenden immer noch in verzücktem Bann hielt.
     Claire genügte ein rascher Blick in ihre Umgebung, um festzustellen, dass die aufregende Geschichte, die der Unternehmer zweifellos
     allegorisch verschlüsselt erzählt hatte, um vielleicht die brutale Wirkung der schrecklichen Ereignisse abzumildern, nicht
     allein die Neugier der Anwesenden auf die Schlacht geweckt hatte, der sie demnächst beiwohnen würden, sondern auch eine gewisse
     Sympathie für Hauptmann Shackleton und sogar für seinen Gegner Salomon, dem Murray entweder ganz bewusst oder rein zufällig
     einen humanen Anstrich gegeben hatte. Mochte dem sein, wie es wollte, die Gesichter von Ferguson, Lucy und sogar Charles Winslow
     drückten Überwältigung aus. Man sah ihnen an, dass sie es kaum erwarten konnten, in die Zukunft zu kommen, um, wenn auch nur
     als Augenzeugen, an dem so überaus bedeutenden Ereignis teilzuhaben und wenigstens den letzten Akt dieser Geschichte mitzuerleben.
     Ihr eigener Gesichtsausdruck dürfte ähnlich sein, dachte Claire, wenn auch aus ganz anderen Gründen, denn mehr als von der
     Verschwörung der Maschinenmenschen, der Zerstörung Londons oder dem Blutbad, das die Roboter unter den |319| Menschen angerichtet hatten, war sie von Shackletons Entschlossenheit, seiner Persönlichkeit und seinem Mut überwältigt. Dieser
     Mann hatte aus versprengten Resten eine Armee gebildet und der Welt die Hoffnung zurückgegeben; ganz zu schweigen davon, dass
     er den eigenen Tod überlebt hatte. Wie würde ein solcher Mann lieben?, fragte sie sich.
    Nach dem Eröffnungsvortrag begab sich die Gruppe, angeführt von Murray und dem Expeditionsleiter, durch eine mit zahllosen
     Uhren bestückte Galerie zu der riesigen Halle, in der die
Cronotilus
auf sie wartete. Das glanzvoll hergerichtete Fahrzeug entlockte den Anwesenden ein bewunderndes Gemurmel. Einer Straßenbahn
     glich es nur in Größe und Form, denn die unzähligen Applikationen, mit denen man es überall versehen hatte, ließen es eher
     wie ein Jahrmarktsgefährt aussehen. Seine gewöhnliche Gestalt war gänzlich verschwunden unter einem Geflecht von chromglänzenden
     Metallröhren, die sich wie Adern an den Seiten entlangzogen. Unter den wuchernden, mit Ventilen und glänzenden Endstücken
     verzierten Rohrlianen waren von der ursprünglichen Straßenbahn nur noch zwei Türen aus exquisit bearbeitetem Teakholz zu sehen.
     Eine führte in den Passagierraum, die andere, etwas schmalere, in die Fahrerkabine, die zum Fahrgastraum hin durch eine Zwischenwand
     abgetrennt sein musste, schloss Claire, da ihre Fenster, im Gegensatz zu den übrigen, nicht schwarz angemalt waren. Es war
     ihr eine Erleichterung, dass wenigstens der Fahrer nicht blind fuhr. Die zum Fahrgastraum gehörenden Fenster in Form von Bullaugen
     waren geschwärzt, wie Murray es angekündigt hatte. Niemand würde die vierte Dimension sehen können, und aus demselben |320| Grund würden die sie bewohnenden Ungeheuer auch ihre entsetzten Gesichter nicht sehen. Auf der Vorderseite der
Cronotilus
war eine Art Räumgitter angebracht worden, dessen beunruhigende Funktion wohl die sein sollte, ihnen um jeden Preis einen
     Weg zu bahnen, während an der Rückseite eine kompliziert aussehende Dampfmaschine voller Nieten, Räder und Propeller installiert
     worden war, die von Zeit zu Zeit ein drachenhaftes Schnauben ausstieß und damit zusammen einen Schwall von heißem Dampf, der
     den Damen spielerisch unter die Röcke fuhr. Was vor allem aber verhinderte, dass dieses Gefährt als Straßenbahn eingestuft
     wurde, war die Kanzel auf seinem Dach, die über eine an der Seite angebrachte Leiter erreicht wurde, und in der sich soeben
     zwei zwielichtig aussehende Gestalten mit Gewehren und einer Kiste

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