Die Landkarte der Zeit
die vierte Dimension zurücklege, in bestmöglichen Zustand zu bringen, aber man dürfe nicht vergessen, dass sie durch
raues Gelände voller Geröll und Schlaglöcher führe. Claire betrachtete das Spiegelbild ihres Gesichts in der schwarzen Fensterscheibe
und fragte sich, wie die Landschaft draußen wohl aussah, deren Anblick das geschwärzte Glas verhinderte. Doch kaum hatte sie
sich die Frage gestellt, als jeder weitere Gedanke von einem grollenden Gebrüll von draußen abgeschnitten wurde, dem das Knallen
von Gewehrschüssen folgte und danach ein herzzerreißendes unmenschliches Ächzen. Lucy drückte ängstlich Claires Hand. Mazursky
enthielt sich jeden Kommentars. Stattdessen beantwortete er die erschrockenen Blicke seiner Fahrgäste mit einem sorglosen
Lächeln, als wollte er ihnen zu verstehen geben, dass solches Gebrüll und die Gewehrschüsse nichts Ungewöhnliches seien auf
ihrer Reise und daher am besten ignoriert würden.
Als sich alle wieder etwas beruhigt hatten, erhob er sich von seinem Klappsitz und schritt durch den Mittelgang.
«Also», sagte er. «Bald werden wir das Jahr 2000 erreichen, und ich darf um Ihre Aufmerksamkeit bitten, da ich Ihnen nun erklären
möchte, was wir tun werden, wenn wir in der Zukunft angekommen sind. Wie Mr. Murray Ihnen bereits mitgeteilt hat, werde ich Sie nach Verlassen der |324|
Cronotilus
zu einer Anhöhe führen, von der aus wir der letzten Schlacht zwischen Mensch und Maschine beiwohnen werden. Die Maschinenmenschen
werden uns zwar nicht sehen können, dennoch muss ich Sie bitten, zusammenzubleiben und absolute Stille zu wahren, damit unsere
Position nicht verraten wird. Welche Folgen so etwas für das Zeitgefüge haben würde, wissen wir nicht, aber ich nehme an,
keine positiven.»
Wieder hörte man draußen Gebrüll und Gewehrschüsse, denen Mazursky allerdings kaum Aufmerksamkeit schenkte. Er schritt gemächlich
zwischen den Bänken hin und her, hatte die Daumen in die Westentaschen geklemmt und machte ein verdrossenes Gesicht wie ein
Professor im Hörsaal, der es leid ist, immer wieder dasselbe Thema zu erörtern.
«Die Schlacht wird höchstens zwanzig Minuten dauern», fuhr er fort, «und sie ähnelt einem Stück in drei Akten. Zuerst tritt
der grausame Salomon mit seinem Gefolge auf und gerät in einen Hinterhalt des tapferen Hauptmanns Shackleton und seiner Männer;
dann entbrennt ein kurzer, aber heftiger Kampf, der in einem Schwertduell zwischen dem Maschinenmenschen Salomon und Derek
Shackleton endet, welches, wie Sie wissen, zum Sieg der Menschheit führt. Lassen Sie sich bloß nicht einfallen, nach dem Duell
zu applaudieren! Es handelt sich schließlich nicht um ein Theaterstück, sondern um ein reales Ereignis, das wir eigentlich
gar nicht zu Gesicht bekommen sollten. Sammeln Sie sich und folgen Sie mir dann bitte lautlos zurück zu unserem Gefährt. Wir
werden dann wieder die vierte Dimension durchqueren und gesund und unversehrt heimkommen. Haben mich alle verstanden?»
|325| Die Passagiere nickten in schöner Einmütigkeit. Lucy drückte wieder Claires Hand und schenkte ihr ein erregtes Lächeln. Claire
erwiderte es, doch ihr Lächeln hatte mit Lucys nichts gemein: Es war ein Abschiedslächeln, die einzige Möglichkeit, Lucy zu
verstehen zu geben, dass sie ihre beste Freundin gewesen war und sie sie niemals vergessen würde, aber dass sie ihrer Bestimmung
folgen müsse. Eine alltägliche Geste, deren verborgene Botschaft erst mit der Zeit zu entziffern sein würde, genau wie der
Kuss, den sie ihrer Mutter auf die freundliche Wange gehaucht, oder der andere, den sie auf die zerfurchte Stirn ihres Vaters
gedrückt hatte. Ein zarter Kuss jeweils, jedoch befremdlich lang und so ernst, wie es für den Abschiedskuss zu einem Landwochenende
mit den Burnetts eigentlich übertrieben war, was die Eltern jedoch nicht bemerkt hatten. Claire betrachtete sich wieder im
schwarzen Spiegel des Fensters und fragte sich, ob sie wirklich bereit war für ein Leben in einer Welt der Zukunft auf jener
verwüsteten Erde, die Gilliam Murray ihnen beschrieben hatte. Sie spürte einen Anflug von Furcht und zwang sich, ihn zu unterdrücken.
So kurz vor dem Ziel durfte sie nicht schwach werden, sie musste an ihrem Plan festhalten.
In diesem Moment kam die
Cronotilus
mit kreischenden Pleuelstangen zum Stehen. Mazursky warf einen langen Blick durch das Periskop, bis er sich vergewissert hatte,
dass draußen
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