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Die Landkarte der Zeit

Titel: Die Landkarte der Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Félix J. Palma
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Schützen ans Ende, warnte sichtlich verärgert noch einmal davor, sich von der Gruppe zu trennen, dann setzten sie ihren
     Weg zur
Cronotilus
fort.
    «Zum Glück habe ich noch rechtzeitig gemerkt, dass du |351| verschwunden warst, Claire», sagte Lucy und nahm ihren Arm. «Hast du dich sehr gefürchtet?»
    Claire schnaubte und ließ sich von Lucy wie eine Rekonvaleszentin fortführen, konnte jedoch an nichts anderes denken als an
     Shackletons zärtlichen Blick. Hatte Liebe in des Hauptmanns Blick gelegen? So wie es ihm die Sprache verschlagen hatte, deutete
     alles darauf hin, da spielte es auch keine Rolle, in welchem Jahrhundert man sich befand. Aber selbst wenn es stimmte, was
     nützte es ihr, dass Hauptmann Shackleton sich in sie verliebt hatte, wenn sie ihn nie mehr wiedersehen würde, fragte sie sich,
     während sie sich widerstandslos in die Zeitstraßenbahn schieben ließ, als wäre ihr jeglicher Wille abhandengekommen. Erschöpft
     lehnte sie sich auf der Bank zurück, und als sie das Ruckeln spürte, mit dem sich das Gefährt in Bewegung setzte, wäre sie
     am liebsten vor Verzweiflung in ein Meer von Tränen ausgebrochen. Während das Gefährt in die vierte Dimension eindrang, fragte
     sich Claire, wie sie aufs Neue und für immer in ihrer faden Zeit leben sollte, vor allem, nachdem sie jetzt wusste, dass der
     einzige Mann, mit dem sie je glücklich sein könnte, erst geboren würde, wenn sie schon gestorben war.
    «Ladys und Gentlemen, bald sind wir wieder zu Hause», verkündete Mazursky und versuchte gar nicht, seine Befriedigung darüber
     zu verbergen, dass diese unglückliche Reise nun bald zu Ende war.
    Claire warf ihm einen ärgerlichen Blick zu. Bald wären sie wieder zu Hause, im nichtssagenden 19.   Jahrhundert, ohne das Zeitgefüge ins Wanken gebracht zu haben. Mazursky hatte verhindert, dass diese dumme Miss das Universum
     durcheinandergebracht hatte, und sich so die Gardinenpredigt |352| erspart, die Gilliam ihm gehalten hätte, wenn ihm das nicht gelungen wäre. Logisch, dass er vor Begeisterung strahlte. Was
     machte es schon, wenn ihr Glück dabei auf der Strecke geblieben war? Claire war so enttäuscht, dass sie den Expeditionsleiter
     am liebsten geohrfeigt hätte, wenngleich sie im Grunde anerkennen musste, dass Mazursky nur getan hatte, was er hatte tun
     müssen. Das Universum stand über jedem persönlichen Schicksal, selbst wenn es sich dabei um das Ihrige handelte. Sie sah Mazursky
     lächeln und biss die Zähne zusammen, um ihren Ärger nicht erkennen zu lassen. Ein Teil dieses Ärgers verflog, als sie auf
     ihre leeren Hände blickte und feststellte, dass der Expeditionsleiter doch keine ganz vollkommene Arbeit geleistet hatte.
     Aber andererseits: Was konnte ein Sonnenschirm schon dem Zeitgefüge anhaben?

|353| XXIII
    Als das Mädchen und der Expeditionsleiter hinter der Anhöhe verschwunden waren, kam Hauptmann Derek Shackleton aus seinem
     Versteck hervor und starrte einige Sekunden lang auf die Stelle, an der die Frau gestanden hatte, als erwarte er, in den Windungen
     der Luft noch eine Spur ihres Parfums oder ihrer Stimme zu finden, irgendeinen Nachhall ihrer Gegenwart, der ihm bestätigte,
     dass er keine Fata Morgana gesehen hatte. Er war noch immer ganz verwirrt von der Begegnung. Es erschien ihm unglaublich,
     dass das wirklich passiert sein sollte. Er rief sich den Namen des Mädchens in Erinnerung: «Mein Name ist Claire Haggerty,
     ich bin aus dem 19.   Jahrhundert gekommen, um Ihnen beim Wiederaufbau der Welt zu helfen», hatte sie gesagt und dabei eine entzückende Verbeugung
     vollführt. Aber nicht nur an ihren Namen erinnerte er sich. Er war überrascht, wie deutlich sich ihm ihr Gesicht eingeprägt
     hatte. Er erinnerte sich in allen Einzelheiten an ihren blassen Teint, den leicht widerspenstigen Gesichtsausdruck, die schimmernden,
     fein geschwungenen Lippen, das pechschwarze Haar, die ganze zarte, vornehme Erscheinung, ihre Stimme. Vor allem jedoch an
     ihren Blick. Am deutlichsten erinnerte er sich daran, wie sie ihn angeschaut hatte mit dieser fast ehrerbietigen Verzückung, |354| einer selbstvergessenen Entrücktheit. Nie zuvor hatte ihn eine Frau so angeschaut. Nie.
    Dann bemerkte er den Sonnenschirm, und Verlegenheit überkam ihn, als er daran dachte, aus welchem Grund das Mädchen ihn hatte
     fallen lassen. Er hob ihn vorsichtig vom Boden auf, als handle es sich um ein metallenes Vögelchen, das aus einem eisernen
     Nest gefallen war. Es war ein

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