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Die Landkarte der Zeit

Titel: Die Landkarte der Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Félix J. Palma
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zu nehmen wie den kleinen Bruder, den er nie gehabt hatte, obwohl er sehr genau wusste, dass Patrick gut auf sich selbst aufpassen
     konnte. Ob aus Bequemlichkeit oder Schüchternheit, keiner von ihnen hatte indes Wert darauf gelegt, ihre beginnende Freundschaft
     auch jenseits des Hafens zu pflegen.
    «Mit dem Geld von heute bin ich schon wieder ein Stück näher dran», sagte Patrick plötzlich mit einem träumerischen Ton in
     der Stimme.
    «An was?», fragte Tom interessiert, denn Patrick hatte nie etwas davon erzählt, ein Geschäft aufmachen oder heiraten zu wollen.
    Der Junge warf ihm einen geheimnisvollen Blick zu.
    «An meinem Traum», sagte er feierlich.
    Es freute Tom, dass der Junge einen Traum hatte, der ihm half, nach vorn zu schauen; einen Grund, jeden Morgen aus dem Bett
     zu steigen; etwas, an dem es ihm selbst in letzter Zeit mangelte.
    «Was ist das für ein Traum, Patrick?», wollte er wissen, weil er dem Jungen ansah, dass er auf diese Frage nur wartete.
    Patrick zog ein gefaltetes Blatt Papier aus der Jackentasche und überreichte es ihm mit einer Verbeugung.
    «Ins Jahr 2000 zu reisen und Zeuge zu sein, wie der |380| tapfere Hauptmann Shackleton die grausamen Maschinenmenschen besiegt.»
    Tom machte sich nicht einmal die Mühe, das ihm nur allzu bekannte Papier auseinanderzufalten, sondern bedachte Patrick nur
     mit einem traurigen Blick.
    «Macht dich das Jahr 2000 denn gar nicht neugierig, Tom?», fragte dieser ungläubig.
    Tom seufzte.
    «In der Zukunft habe ich nichts verloren, Patrick», erwiderte er achselzuckend. «Die Gegenwart ist meine Zeit, mehr brauche
     ich nicht zu kennen.»
    «Tja», murmelte Patrick, wagte jedoch nicht, Toms begrenzte Sicht zu kritisieren.
    «Hast du gefrühstückt?», fragte ihn Tom.
    «Natürlich nicht!», rief der Junge empört. «Ich habe dir doch gesagt, dass ich spare. Frühstücken ist ein Luxus, den ich mir
     nicht leisten kann.»
    «Dann lass dich von mir einladen», schlug Tom vor und legte ihm den Arm um die Schulter. «Ich kenne hier in der Nähe einen
     Laden, da machen sie die besten Würstchen von ganz London.»

|381| XXV
    Nach dem reichlichen Frühstück, das sie sich geleistet hatten, einem wahren Festmahl, das ihre Bäuche für den Rest der Woche
     gesättigt hielt, waren Toms Taschen wieder leer. Tom versuchte, wegen der für Patrick getätigten Ausgaben kein schlechtes
     Gewissen zu haben. Sie waren unvermeidlich gewesen, aber beim nächsten Mal musste er bedachtsamer vorgehen. Seine Großzügigkeit
     gab ihm zwar ein gutes Gefühl, doch er wusste nur zu gut, dass solche selbstlosen Gesten ihm auf die Dauer schadeten. Er verabschiedete
     sich von Patrick, und da er nichts Besseres vorhatte, richtete er seine Schritte nach Covent Garden, wo er sein mildtätiges
     Tun fortsetzen und für Mrs.   Ritter ein paar Äpfel stehlen konnte.
    Als er den Markt am späten Vormittag erreichte, waren die frischesten Waren längst in den Einkaufstaschen der frühen Kunden
     verschwunden, die aus allen Ecken Londons kamen, um hier ihre Speisekammern zu versorgen. Auf der anderen Seite hatte die
     fortgeschrittene Stunde dem Markt seine unwirkliche Atmosphäre im Licht der zahllosen, auf Gebirgen von herabgetropftem Wachs
     stehenden Kerzen genommen, die die Karren der Händler beleuchteten, solange es noch dunkel war. Jetzt wirkte der Markt wie
     ein ländliches Picknick, und seine Besucher |382| waren keine huschenden Schatten mehr, sondern unbekümmerte Müßiggänger, die den ganzen Tag Zeit hatten, ihre Käufe zu tätigen
     und sich, wie Tom, von den Düften der Rosen, Weinrosen und Fuchsien betören zu lassen, die den Blumenkörben am westlichen
     Ende des Marktplatzes entströmten. Sich in der Menge treiben lassend, die zwischen dem sich über Bow Street und Maiden Lane
     hinziehenden bunten Gewirr der Stände mit Kartoffeln, Möhren und Kohlköpfen umherschlenderte, versuchte Tom eines der Mädchen
     zu lokalisieren, die mit ihren Apfelkörben zwischen den Marktständen herumliefen und mit Cockney-Akzent ihre Ware anpriesen.
     Er streckte den Hals und glaubte eine der Apfelverkäuferinnen hinter einer Menschentraube entdeckt zu haben. Um sie nicht
     aus den Augen zu verlieren, wirbelte er herum und versuchte, die menschliche Mauer zu umgehen, die ihm den Weg versperrte.
     Doch ein Körpereinsatz, der Hauptmann Shackleton in einer Schlacht vielleicht das Leben gerettet hätte, war auf einem so überlaufenen
     Markt wie dem von Covent Garden geradezu

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