Die Landkarte der Zeit
hierhergekommen?», fragte Claire, der seine Grübeleinen nicht aufgefallen waren. «Sind Sie als blinder
Passagier in der
Cronotilus
mitgefahren?»
Tom musste ob der Frage eine ärgerliche Grimasse unterdrücken. Während er versuchte, sich ein glaubwürdiges Märchen auszudenken,
um den Reizen der bezaubernden Dame näher zu kommen, wollte sie, dass er seine alte Lüge weiterspann. Das konnte er nun gar
nicht brauchen. Andererseits konnte er ihr nicht erzählen, er sei durch die Zeit gereist, um ihr den Sonnenschirm zurückzubringen,
und verlangen, dass sie dies als das Normalste der Welt ansah; als gehörte es zum alltäglichen Tun der Leute, von Jahrhundert
zu Jahrhundert zu reisen, um kleine Botendienste |394| zu erledigen. Glücklicherweise kam gerade der Kellner mit ihrer Bestellung und gab ihm so ein paar Sekunden Zeit, sich eine
Antwort auszudenken, die die junge Dame zufriedenstellen mochte.
«In der
Cronotilus
?», fragte er, als sei ihm die Zeitstraßenbahn völlig unbekannt. Denn wenn er sie benutzt hätte, um in diese Zeit zu reisen,
gäbe es für ihn keine andere Möglichkeit in die Zukunft zurückzukehren, als auf die nächste Expedition ins Jahr 2000 zu warten,
und die fand erst in knapp einem Monat statt. Das hieß aber auch, dass es bei dieser einen Verabredung nicht bleiben würde.
«Das dampfgetriebene Fahrzeug, in dem wir die vierte Dimension durchqueren, um in Ihre Zeit zu reisen», erklärte Claire und
fügte nach einigen Sekunden des Nachdenkens hinzu: «Aber wenn Sie nicht mit der
Cronotilus
gefahren sind, wie haben Sie es dann angestellt? Gibt es denn noch eine andere Art, durch die Zeit zu reisen?»
«Selbstverständlich gibt es eine andere Art, Miss Haggerty», bestätigte Tom in überzeugtem Ton. Wenn die Kleine Gilliams Lügenmärchen
geschluckt hatte und tatsächlich an Zeitreisen glaubte, dann würde sie wahrscheinlich auch alles glauben, was er ihr noch
dazu auftischte. «Unsere Wissenschaftler haben eine Maschine erfunden, mit der man unmittelbar durch die Zeit reisen kann,
ohne eine beschwerliche Fahrt durch die vierte Dimension unternehmen zu müssen.»
«Und mit dieser Maschine kann man in jede beliebige Zeit reisen?», fragte das Mädchen voller Bewunderung.
«In jede beliebige, ja», antwortete Tom, als messe er der Angelegenheit keine Bedeutung bei, als sei er der Reiserei durch
die Jahrhunderte längst überdrüssig, als würden ihn |395| das Aufblühen und der Zerfall von Zivilisationen nur noch unendlich langweilen.
Er nahm einen Keks und biss genüsslich hinein, gab damit zu verstehen, dass er trotz allem, was er gesehen hatte, die kleinen
Freuden des Lebens, wie englisches Teegebäck, noch zu schätzen wusste.
«Haben Sie sie mitgebracht?», wollte Claire nun wissen. «Zeigen Sie sie mir?»
«Ihnen zeigen, was?»
«Die Maschine, mit der Sie in meine Zeit gereist sind.»
Fast hätte sich Tom am Keks verschluckt.
«Nein, nein», stieß er hastig hervor, «das ist unmöglich, absolut unmöglich.»
Claire machte ein enttäuschtes Gesicht und verschränkte trotzig die Arme vor der Brust; eine etwas kindische Geste, die Tom
nicht erwartet hatte.
«Ich kann sie Ihnen nicht zeigen, weil … nun, man kann sie nicht sehen», fabulierte er, um seinen Ärger zu überspielen.
«Man kann sie nicht sehen?», fragte das Mädchen argwöhnisch.
«Ich will damit sagen, dass es sich bei ihr nicht um so etwas wie eine geflügelte Kutsche handelt, die sich durch die Zeit
bewegt», versuchte er zu erklären.
«Was ist es dann?»
Tom unterdrückte einen Seufzer der Verzweiflung. Ja, was war es dann? Und warum konnte er sie ihr nicht zeigen?
«Es ist eine Apparatur, die sich nicht physisch durch die Zeit bewegt, sondern in der Zukunft bleibt. Von dort aus, äh … gleitet sie durch Zeitlöcher, die in andere Epochen |396| führen. Es ist eine Art Bohrmaschine, nur dass sie nicht Löcher in Felsen bohrt, sondern Tunnel durch das Zeitgefüge. Deshalb
kann ich sie Ihnen nicht zeigen, obwohl ich nichts lieber täte.»
Claire schwieg.
«Eine Maschine, die Löcher in das Zeitgefüge bohrt …», murmelte sie schließlich, ganz angetan von dem Gedanken. «Und Sie sind durch so einen Tunnel gereist und heute hier angekommen?»
«Genau so ist es», bestätigte Tom, nicht allzu überzeugt.
«Und was machen Sie, um in die Zukunft zurückzukehren?»
«Ich begebe mich wieder in das Zeitloch.»
«Soll das heißen, dass sich in diesem
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