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Die Landkarte der Zeit

Titel: Die Landkarte der Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Félix J. Palma
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Augenblick irgendwo hier in London ein Tunnel befindet, der ins Jahr 2000 führt?»
    Tom trank einen Schluck Tee, bevor er antwortete. Allmählich ermüdete ihn die Unterhaltung.
    «Einen Tunnel in die Stadt zu führen würde verständlicherweise viel Aufmerksamkeit erregen», sagte er vorsichtig. «Der Tunnel
     wird daher immer nach außerhalb gelegt, auf den Hügel von Harrow, das ist eine kleine Anhöhe mit einer alten Eiche auf der
     Kuppe, die von Grabsteinen umgeben ist. Aber die Maschine kann ihn nicht unbegrenzte Zeit offen halten. In wenigen Stunden
     schließt er sich, und bevor das passiert, muss ich wieder drinnen sein.»
    Bei diesem letzten Satz machte er ein betrübtes Gesicht in der Hoffnung, das Mädchen möge angesichts der knapp bemessenen
     Zeit von weiteren quälenden Fragen absehen.
    «Vielleicht empfinden Sie es als ein wenig dreist, Hauptmann», |397| hörte er sie nach einigen Sekunden Grübelns sagen, «aber könnten Sie mich nicht mitnehmen ins Jahr 2000?»
    «Ich fürchte nein, Miss Haggerty», seufzte Tom.
    «Warum nicht? Ich verspreche Ihnen   …»
    «Weil ich keine anderen Menschen mit durch die Zeit nehmen kann.»
    «Aber was für einen Sinn hat es, eine Zeitmaschine zu erfinden, wenn man sie nicht dazu benutzt   …»
    «Weil sie zu einem ganz anderen Zweck erfunden wurde», unterbrach Tom sie ungehalten. Warum konnte sie das Thema nicht endlich
     ruhen lassen?
    Er bereute seine Schroffheit im selben Moment, doch der Schaden war schon angerichtet. Sie schaute ihn ungläubig an.
    «Und welcher Zweck wäre das, wenn man fragen darf?», ging sie im gleichen ungehaltenen Ton zum Gegenangriff über.
    Tom lehnte sich seufzend zurück und versuchte seinen wachsenden Ärger in den Griff zu bekommen. So weiterzumachen hatte keinen
     Zweck. Wenn er es nicht schaffte, die Unterhaltung in eine andere Richtung zu lenken, würde er sie nie in die Pension gegenüber
     bringen und könnte noch froh sein, wenn sie ihn, seiner vagen Antworten überdrüssig, nicht einfach sitzenließe. Was erwartete
     sie? Er war nicht Gilliam Murray. Er war nur ein armer Teufel ohne Einbildungskraft. Das Kostüm des Zeitreisenden war ihm
     viel zu groß. Vielleicht war es am besten, aufzugeben, das Ganze zu vergessen, sich höflich von der Dame zu verabschieden
     und sein erbärmliches Gelegenheitsarbeiterleben wiederaufzunehmen, wenn Murrays Schläger nicht mit einer besseren Idee kamen.
    |398| «Miss Haggerty», begann er, entschlossen, die Verabredung unter irgendeinem Vorwand höflich zu beenden, als sie ihre Hand
     auf die seine legte.
    Vor Überraschung vergaß Tom, was er hatte sagen wollen. Er schaute auf ihre zarte Hand, die zwischen den Teetassen willig
     auf der seinen ruhte, als wäre es eine Skulptur, deren Bedeutung ihm verborgen blieb. Als er aufschaute, begegnete er einem
     Blick von ungeahnter Sanftheit.
    «Verzeihen Sie, dass ich Sie mit Fragen belästigt habe, die zu beantworten Sie möglicherweise gar nicht ermächtigt sind, Hauptmann»,
     entschuldigte sich das Mädchen und beugte sich dabei auf anbetungswürdige Weise über den Tisch. «Das war eine sehr unhöfliche
     Art des Dankes dafür, dass Sie mir den Sonnenschirm zurückgebracht haben. Sie brauchen mir auch gar nicht zu sagen, zu welchem
     Zweck die Zeitmaschine gebaut worden ist. Das weiß ich nämlich längst.»
    «Tatsächlich?», fragte Tom ungläubig.
    «Ja», antwortete sie und ließ ein bezaubernd eingebildetes Lächeln um ihre Lippen spielen.
    «Könnten Sie mir auch sagen, welcher Zweck das ist?»
    Claire schaute sich nach beiden Seiten um und antwortete mit gesenkter Stimme:
    «Mr.   Ferguson zu töten.»
    Tom hob die Augenbrauen. Mr.   Ferguson? Wer zum Teufel war Mr.   Ferguson? Und warum sollte er getötet werden?
    «Spielen Sie nicht den Unwissenden, Hauptmann», lachte Claire. «Ich versichere Ihnen, das ist nicht nötig. Nicht bei mir.»
    Erleichtert stimmte Tom in ihr Lachen ein, weil er die |399| Anspannung des vorausgegangenen Verhörs dadurch ein wenig abbauen konnte. Er hatte zwar keine Ahnung, wer dieser Ferguson
     war, ahnte aber, dass es am besten war, so zu tun, als kenne er sogar seine Schuhgröße oder das Rasierwasser, das dieser benutzte.
     Und zu beten, dass sie ihn nicht über den Mann ausfragte.
    «Ihnen kann ich nichts vormachen, Miss Haggerty», schmeichelte er ihr. «Sie sind einfach zu klug.»
    Claire zeigte ein befriedigtes Lächeln.
    «Danke, Hauptmann. Aber es ist ja wohl nicht schwer zu folgern,

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