Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die Landkarte der Zeit

Titel: Die Landkarte der Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Félix J. Palma
Vom Netzwerk:
war es ja auch nicht. Aus seiner Sicht, versteht sich. Für Gilliam
     war es nur ein himmlischer Zufall gewesen.
    |509| «Ich wusste gar nicht, was die junge Dame beabsichtigte», fuhr er fort und näherte sich Tom wieder mit kurzen, beinahe tänzelnden
     Schritten. «Ich schickte sie mit ein paar Andeutungen fort; aber die Neugier hatte mich gepackt, und so beauftragte ich einen
     meiner Männer, ihr zu folgen. Ich wollte sie im Auge behalten. Du weißt ja, ich mag es nicht, wenn man in meinen Angelegenheiten
     herumschnüffelt. Aber Miss Haggerty schien gar nicht daran interessiert, irgendwas herauszufinden; ganz im Gegenteil, nicht
     wahr? Ich muss sagen, ich war einigermaßen überrascht, als mein Informant mir sagte, sie habe sich mit dir im Teesalon verabredet,
     und danach   … Na ja, du weißt selbst am besten, was in der Pension Pickard passiert ist.»
    Toms Kopf sackte auf die Brust, ohne dass man hätte sagen können, ob aus Scham oder weil ihm wieder die Sinne schwanden.
    «Mein Misstrauen erwies sich als gerechtfertigt», fuhr Gilliam fort, «wenn auch auf andere Weise, als ich gedacht hatte. Ich
     wollte dich damals schon umbringen lassen, trotz meiner Bewunderung für dich und dafür, was du alles aus der Situation herausgeholt
     hast. Doch dann hast du einen unerwarteten Zug gemacht und bist zu Wells gegangen; da wurde ich natürlich wieder neugierig.
     Ich fragte mich, was du von ihm wolltest. Wenn du vorhattest, dem Schriftsteller zu verraten, dass mein Unternehmen ein einziger
     Betrug ist, hattest du dir den Falschen ausgesucht, wie du ja auch gleich gemerkt hast. Wells ist nämlich der Einzige in ganz
     London, der die Wahrheit kennt. Aber du hattest ja viel edlere Absichten.»
    Gilliam hatte die Hände auf dem Rücken verschränkt und ging mit Trippelschritten vor Tom auf und ab. Einige |510| Schritte entfernt saß Eterno und beobachtete sie mit vager Neugier.
    «Als du aus Wells’ Haus kamst, gingst du zum Hügel von Harrow und legtest einen Brief unter den Grabstein. Mein Spion brachte
     ihn mir, und nachdem ich ihn gelesen hatte, begriff ich alles.» Gilliam betrachtete Tom mit spöttischer Sympathie. «Ich muss
     dir sagen, ich habe vergnügliche Stunden mit der Lektüre eurer Briefe verbracht. Mit Ausnahme des letzten natürlich. Den hast
     du so schnell an dich genommen, dass ich ihn Wells stibitzen musste, als er mal wieder mit diesem lächerlichen Gerät namens
     Fahrrad unterwegs war.
    Er blieb stehen und betrachtete wieder den Fluss.
    «Herbert George Wells», murmelte er mit schlecht verhohlener Abneigung. «Armer Narr. Ich muss dir gestehen, dass ich drauf
     und dran war, jeden seiner Briefe zu zerreißen und sie selbst zu schreiben. Ich habe es nicht getan, weil Wells es niemals
     erfahren hätte, daher konnte ich es genauso gut bleibenlassen. Aber lassen wir das», rief er plötzlich in leutseligem Ton
     und wandte sich wieder seinem Opfer zu. «Diese Eifersüchteleien unter Schriftstellern berühren dich ohnehin nicht, was, Tom?
     Ich habe angenehme Stunden mit euren Briefen verbracht, besonders mit einem, wie du dir denken kannst. Sehr lehrreich für
     alle, glaube ich. Aber nun, die Fortsetzungsgeschichte ist vorbei, die alten Mütterchen werden das tragische Ende der Verliebten
     beweinen, und ich kann dich endlich umbringen.»
    Er ging vor Tom in die Hocke und hob mit fast mütterlicher Zartheit sein Kinn empor. Dabei beschmutzte er sich den Finger
     mit dem Blut, das von Toms Lippen rann. Er zog ein Taschentuch aus der Jacke und säuberte |511| ihn geistesabwesend, ohne seinen interessierten Blick von Tom abzuwenden.
    «Weißt du, Tom», sagte er, «im Grunde bin ich dir unendlich dankbar für alles, was du hast tun müssen, um meinen Betrug nicht
     auffliegen zu lassen. Die Hauptschuld trägt zwar dieses unvernünftige Mädchen; aber du hättest die Dinge auch nicht weitertreiben
     müssen. Andererseits verstehe ich dich; dieses Mädchen war es wahrscheinlich wert, einiges für sie zu riskieren. Trotzdem
     wirst du einsehen, dass ich dich nicht am Leben lassen kann. Jeder spielt seine Rolle in diesem Spiel. Und ich bin der, der
     dich umbringen muss. Leider. Aber wie könnte ich der herrlichen Ironie widerstehen, deine treuen Soldaten aus der Zukunft
     mit dieser kleinen Arbeit zu betrauen!»
    Bei diesen Worten warf er einen spöttischen Blick auf die Männer in Toms Rücken. Danach wandte er sich ihm wieder zu und betrachtete
     ihn eine Weile schweigend, als überlege

Weitere Kostenlose Bücher