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Die Landkarte der Zeit

Titel: Die Landkarte der Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Félix J. Palma
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eine simple Theateraufführung zu bezahlen», erwiderte
     der Schriftsteller.
    «Nein, Mr.   Wells. Das ist ein Irrtum. Die eigentliche Frage wäre, ob sie lieber wüssten, dass alles Betrug ist |580| und sie ihr Geld zurückbekommen könnten oder ob sie lieber in dem Glauben weiterlebten, das Jahr 2000 besucht zu haben. Das
     müsste man sie fragen. Und ich versichere Ihnen, die meisten würden es nicht wissen wollen. Denn gibt es nicht auch Lügen,
     die das Leben schöner machen?»
    Wells seufzte, mochte aber nicht zugeben, dass Gilliam im Grunde recht hatte. Wie es aussah, glaubten seine Mitmenschen lieber
     daran, in einem Jahrhundert zu leben, in dem die Wissenschaft imstande war, sie ins Jahr 2000 reisen zu lassen, egal wie das
     vonstattenging, als in einer Epoche, der man nicht entfliehen konnte.
    «Denken Sie zum Beispiel an den jungen Harrington», sagte der Unternehmer mit boshaftem Lächeln. «Sie erinnern sich an ihn,
     nicht wahr? Wenn ich nicht irre, ist er dank einer Lüge noch am Leben. Einer Lüge, an der Sie beteiligt waren.»
    Wells wollte antworten, dass es große Unterschiede zwischen den Gründen für eine Lüge gab, doch der Unternehmer kam ihm mit
     einer weiteren Frage zuvor.
    «Wissen Sie, dass ich es war, der die Zeitmaschine gebaut hat, die auf Ihrem Dachboden steht; dieses nette Spielzeug, das
     es Ihnen so angetan hat?»
    Diesmal konnte Wells seine Verblüffung nicht verbergen.
    «Ja, ich habe sie im Auftrag von Charles Winslow gebaut, dem Cousin des unglücklichen Mr.   Harrington», gestand Gilliam vergnügt. «Mr.   Winslow nahm an unserer zweiten Zeitreise teil und kam einige Tage später in mein Büro, um mich zu bitten, für ihn und seinen
     Cousin eine Privatreise ins Jahr 1888 zu organisieren, in den Herbst des |581| Schreckens. Der Preis spiele keine Rolle. Leider konnte ich ihm diesen ausgefallenen Wunsch nicht erfüllen.»
    Sie waren ans Ende der Straße gelangt, wo sich ein hoher Geröllhügel vor ihnen auftürmte, hinter dem man andeutungsweise ferne
     Dächer sah, über denen drohende dunkle Wolken schwebten.
    «Mr.   Winslows Motiv war jedoch so romantischer Natur, dass ich beschloss, ihm zu helfen», fuhr der Unternehmer spöttisch fort und
     begann zu Wells’ Erstaunen, den Trümmerhügel hinaufzuklettern. «Ich erklärte ihm, dass die gewünschte Zeitreise nur mit einer
     Zeitmaschine, wie der aus Ihrem Roman, zu bewerkstelligen sei. Und dann entwarfen wir gemeinsam den Plan, dessen letztes Teilchen
     bekanntlich Sie waren. Wenn Mr.   Winslow Sie dazu überreden könnte, so zu tun, als besäßen Sie eine Zeitmaschine, dann würde ich exakt so einen Apparat bauen
     lassen, wie er in Ihrem Roman beschrieben wird, und auch für die Schauspieler sorgen, die Jack the Ripper und die Hure darstellen
     sollten. Sie werden sich fragen, warum ich das tat. Ich fürchte fast, dass das Errichten von Lügengebäuden zur Sucht werden
     kann. Und offen gestanden machte es mir diebischen Spaß, Sie in ein Theater einzubeziehen, das dem von mir choreographierten
     sehr ähnlich war, und abzuwarten, ob Sie dabei mitmachen würden.»
    Wells konnte Gilliams Worten kaum folgen. Der Aufstieg nahm einen großen Teil seiner Konzentration in Anspruch. Oben angekommen,
     stellte der Schriftsteller fest, dass sie vor einer bemalten Mauer standen. Verblüfft fuhr er mit der Hand über die Farben
     des Wandbildes. Gilliam betrachtete ihn mitfühlend.
    «Nachdem die zweite Zeitreise ebenfalls ein Erfolg |582| gewesen war und auch die Wellen sich wieder geglättet hatten, stellte ich mir dennoch eine Frage: Hatte es noch Sinn, weiterzumachen,
     wenn ich doch schon alles bewiesen hatte, was ich hatte beweisen wollen? Das Einzige, womit ich vor mir selbst die ganzen
     Mühen rechtfertigen konnte, die eine dritte Expedition mich kosten würde», sagte er und dachte missmutig an Jeff Waynes aufgekratzte
     Stimme, wenn er Shackletons Dialoge rezitierte, und an dessen schwachbrüstigen Auftritt mit dem Gewehr in der Hand, «war das
     Geld. Aber Geld hatte ich schon so viel, dass ich es in einem Dutzend Reinkarnationen nicht hätte ausgeben können. Andererseits
     war ich sicher, dass meine Verleumder sich früher oder später zusammentun und zu einem Schlag ausholen würden, vor dem selbst
     Doyle mich nicht würde bewahren können.»
    Gilliam ergriff die Klinke einer kaum zu erkennenden Tür, machte aber nicht die geringste Anstalt, sie hinunterzudrücken.
     Stattdessen wandte er sich mit

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