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Die Landkarte der Zeit

Titel: Die Landkarte der Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Félix J. Palma
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schreiben,
     wäre er nie auf die Idee gekommen, seinen Detektiv nach dem Vorbild dieses Jüngelchens zu gestalten, das da verhuscht und
     schmalbrüstig vor ihm saß und offenbar zu ehrerbietiger Bewunderung neigte, wie die ihm zur Begrüßung aufgeregt entgegengestreckte
     Hand vermuten ließ.
    Nachdem Wells Platz genommen hatte, ließ er mit der üblichen bescheidenen Miene die Litanei des Lobes, seinen Roman
Die Zeitmaschine
betreffend, über sich ergehen, musste jedoch anerkennen, dass sie den jungen Inspektor zu einer gänzlich neuen Schlussfolgerung
     führte.
    «Wie gesagt, ich habe Ihren Roman sehr genossen, Mr.   Wells», sagte er und schob etwas beschämt das Frühstückstablett zur Seite, als wolle er die Spuren seines Schlemmens beseitigen.
     «Und ich finde es schade, dass es für Sie |589| und andere Autoren von Zukunftsromanen ab nun schwer sein wird, über die vor uns liegende Zeit zu spekulieren, da wir ja jetzt
     wissen, wie sie aussieht. Würde die Zukunft auch weiterhin unergründlich und voller Geheimnisse sein, könnte ich mir vorstellen,
     dass diese Art von Romanen ein ganz eigenes Genre begründete.»
    «Da haben Sie wahrscheinlich recht», sagte Wells überrascht, dass der junge Inspektor etwas formulierte, auf das er selbst
     nicht im Entferntesten gekommen war.
    Vielleicht war es ein Fehler gewesen, den Mann nach seinem unreifen Äußeren zu beurteilen. Nach diesem kurzen Wortwechsel
     betrachteten sich die beiden Männer mit fraglos ein wenig lächerlich wirkender gegenseitiger Zuneigung, während die durch
     das Fenster hereinscheinende Sonne ihr goldenes Licht über sie ergoss. Wells vermutete, dass der Inspektor seine Lobeshymne
     beendet hatte, und kam daher auf den Gegenstand seines Besuchs zu sprechen.
    «Da Sie ein so eifriger Leser meiner Werke sind, wird Sie der Grund meines Besuches nicht allzu sehr überraschen, nehme ich
     an. Ich interessiere mich nämlich für den Fall des ermordeten Bettlers. Es geht das Gerücht um, ein Zeitreisender könne der
     Mörder sein, und obwohl ich mich keineswegs als Experten auf diesem Gebiet betrachte, könnte ich Ihnen vielleicht nützlich
     sein.»
    Garrett hob fragend die Augenbrauen, als verstehe er nicht, was Wells damit meinte.
    «Worauf ich hinauswill, Inspektor, ist   … nun, ich möchte Ihnen meine Mitarbeit anbieten.»
    Der Inspektor schaute ihn gerührt an.
    «Das ist sehr freundlich von Ihnen, Mr.   Wells, aber das wird nicht nötig sein. Ich habe den Fall bereits gelöst.»
    |590| Er zog eine Schublade seines Schreibtisches auf, nahm einen Umschlag heraus und blätterte die Fotos von dem toten Bettler
     auf den Tisch, als gäbe er ein Blatt Karten aus. Mit aufgeregter Stimme erklärte er Wells jedes einzelne und legte ihm die
     Schlüsse dar, die er daraus gezogen hatte, und wieso sein Verdacht auf Hauptmann Shackleton oder einen von dessen Männern
     gefallen war. Wells hörte kaum hin, da der Inspektor nur das wiederholte, was Gilliam ihm bereits erzählt hatte. Doch umso
     interessierter betrachtete er die ungewöhnliche Wunde, die der Tote aufwies. Er verstand zwar nichts von Waffen, aber man
     musste kein Experte sein, um zu erkennen, dass dieses entsetzliche Loch nicht von einer gewöhnlichen Waffe stammen konnte.
     Wie Garrett und die Gerichtsmediziner behaupteten, schien die Wunde wirklich durch einen Hitzestrahl verursacht worden zu
     sein; als hätte jemand einen glühenden Lavastrahl abgefeuert.
    «Wie Sie sehen, ist kaum eine andere Erklärung möglich», schloss Garrett zufrieden lächelnd und steckte die Fotos in den Umschlag
     zurück. «Eigentlich sitze ich nur noch hier und warte auf den Tag, an dem die dritte Zeitreise losgehen soll. Heute Morgen
     zum Beispiel habe ich zwei meiner Beamten noch einmal zum Tatort geschickt – reine Beschäftigungstherapie.»
    «Verstehe», sagte Wells und versuchte sich seine Niedergeschlagenheit nicht anmerken zu lassen.
    Wie konnte er den Inspektor dazu bringen, in eine andere Richtung zu ermitteln, ohne ihm auf die Nase binden zu müssen, dass
     Hauptmann Shackleton alles andere als ein Mensch der Zukunft war und dass das Jahr 2000 aus nichts als einer großen Bühne
     voller Bauschutt von Abrisshäusern |591| bestand? Wenn er es nicht schaffte, würde Jane vielleicht sterben. Er versuchte, ruhig zu atmen und sich seinen Kummer nicht
     anmerken zu lassen.
    Ein Beamter kam ins Zimmer und verlangte mit Garrett zu sprechen. Der junge Inspektor entschuldigte sich und folgte

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