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Die Landkarte der Zeit

Titel: Die Landkarte der Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Félix J. Palma
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fürchterliche Waffe», erklärte der
     Unternehmer, indem er das Gewehr wieder an sich nahm und in den Ständer zurückstellte. «Und Inspektor Garrett glaubt nun,
     dass einer meiner Zukunftssoldaten, möglicherweise sogar Shackleton selbst, als blinder Passagier mit der
Cronotilus
in unsere Zeit gereist ist. Darum will er bei der nächsten Expedition wieder mitfahren und ihn verhaften, noch bevor er sein
     Verbrechen überhaupt begehen kann. Er zeigte mir gestern einen vom Premierminister unterschriebenen Haftbefehl für einen Mann,
     der aus unserer Sicht noch gar nicht geboren ist. Der Inspektor bat mich, für ihn und zwei weitere Beamte drei Plätze für
     die nächste Zeitreise zu reservieren. Wie Sie verstehen werden, konnte ich mich nicht weigern. Was für einen Grund hätte ich
     angeben sollen? In zehn Tagen wird der Inspektor also ins Jahr 2000 reisen, um dort einen Mörder dingfest zu machen; was er
     aber entdecken wird, ist der größte Schwindel des Jahrhunderts. Sie werden denken, skrupellos wie ich bin, könnte ich ihm
     einfach einen meiner Darsteller ausliefern; aber wenn alles glaubhaft wirken soll, müsste ich nicht nur auf die Schnelle eine
     weitere
Cronotilus
bauen, sondern auch noch das ärgerliche Problem lösen, dass der Inspektor sich als |586| Teilnehmer der zweiten Expedition selbst begegnet. Das ist selbst mir zu kompliziert. Der Einzige, der verhindern kann, dass
     Garrett in die Zukunft reist, sind Sie, Mr.   Wells. Sie müssen den wahren Mörder finden, bevor die dritte Zeitreise beginnt.»
    «Und warum sollte ich Ihnen helfen?», fragte Wells in einem Ton, der eher niedergeschlagen als herausfordernd klang.
    Das war die Frage, die alles aufklären würde, und sie beide wussten das. Gilliam trat mit einem schrecklich gelassenen Lächeln
     auf ihn zu, legte ihm seine Patschhand auf die Schulter und führte ihn mit äußerster Behutsamkeit zum anderen Ende des Zimmers.
    «Ich habe lange darüber nachgedacht, welche Antwort ich Ihnen auf diese Frage geben soll, Mr.   Wells», sagte er sanft, beinahe liebevoll. «Ich könnte an Ihr Mitleid appellieren. Ja, ich könnte vor Ihnen auf die Knie fallen
     und Sie um Ihre Hilfe bitten. Können Sie sich das vorstellen, Mr.   Wells? Ich bin sicher, dass es funktionieren würde, weil Sie sich für einen besseren Menschen halten, als ich es bin, und
     nichts lieber tun würden, als dies zu beweisen.» Immer noch lächelnd, hatte Gilliam eine kleine Tür geöffnet und schob Wells
     sanft über die Schwelle.
    «Ich könnte aber auch an Ihre Angst appellieren und Ihnen für den Fall, dass Sie mir Ihre Hilfe verweigern, damit drohen,
     dass der lieben Jane auf einer ihrer nachmittäglichen Spazierfahrten mit dem Fahrrad in der herrlichen Umgebung von Woking
     etwas zustoßen könnte. Ich bin sicher, dass auch das funktionieren würde. Aber ich habe mich entschlossen, an Ihre Neugier
     zu appellieren. Sie und ich sind die Einzigen, die wissen, dass dies alles hier eine |587| große Farce ist. Oder, was dasselbe ist: Sie und ich wissen als Einzige, dass Reisen in die Zukunft nicht möglich sind. Und
     doch hat es jemand getan. Sind Sie nicht neugierig? Wollen Sie den jungen Garrett einem Phantasiegeschöpf nachjagen lassen,
     wenn es einen echten Zeitreisenden geben könnte, der in den Straßen Londons sein Unwesen treibt?»
    Gilliam und Wells sahen sich schweigend an.
    «Ich bin sicher, dass Sie das nicht wollen», sagte der Unternehmer.
    Nach diesen Worten schloss er die Tür hinter sich ab und ließ den Schriftsteller am 21.   November des Jahres 1896 zurück. Wells fand sich in einem verkommenen Hinterhof von ZEITREISEN MURRAY wieder, in dem magere
     Katzen in stinkenden Abfällen scharrten, und hatte das Gefühl, seine Reise ins Jahr 2000 geträumt zu haben. Einem Impuls folgend,
     steckte er seine Hände in die Jackentaschen, doch als er sie wieder herauszog, waren sie leer: Niemand hatte ihm Blütenblätter
     in die Jacke gesteckt.

|588| XXXVII
    Als Wells am anderen Morgen Inspektor Colin Garrett in seinem Büro aufsuchte, kam er ihm wie ein schüchterner Junge vor, dem
     alles zu groß zu sein schien; angefangen beim Schreibtisch, an dem er gerade sein Frühstück verzehrte, über den erdbraunen
     Anzug mit Weste, den er trug, bis zu den Morden, Raubüberfällen und was sonst noch an abscheulichen Verbrechen in London zur
     Tagesordnung gehörte. Hätte er ein Interesse daran gehabt, Kriminalromane von der Art seines Kollegen Doyle zu

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