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Die Landkarte der Zeit

Titel: Die Landkarte der Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Félix J. Palma
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zerknirschter Miene an Wells.
    «Das Vernünftigste wäre zweifellos gewesen, alles aufzugeben», sagte er melancholisch. «Dafür hatte ich mir auch schon einen
     Plan ausgedacht, noch bevor ich mein Unternehmen eröffnete. Ich hatte einen grausamen Tod in der vierten Dimension für mich
     vorgesehen; aufgrund einer Unachtsamkeit von einem meiner erfundenen Drachen verschlungen, und das vor den Augen meiner Mitarbeiter,
     die untröstlich sein würden, aber die traurige Nachricht unverzüglich an die Zeitungen weitergäben. Und während ich unter
     falscher Identität ein neues Leben in Amerika begänne, würde Gilliam Murray, der Unternehmer, der das Geheimnis der Zukunft
     lüftete, von ganz England betrauert |583| werden. Das wäre ein schöner Abgang gewesen. Doch etwas hinderte mich und zwang mich, weiterzumachen. Möchten Sie wissen,
     was das war, Mr.   Wells?»
    Der Schriftsteller zuckte nur mit den Schultern.
    «Ich will es Ihnen erklären, so gut ich kann, aber ich fürchte, dass Sie es nicht verstehen werden. Sehen Sie: Indem ich dies
     alles hier schuf, habe ich nicht nur bewiesen, dass meine Zukunft glaubwürdig war, sondern ich selbst habe mich in jemand
     verwandelt, der ich gar nicht war, wurde zu einer Gestalt meiner eigenen Fiktion. Ich war jetzt kein armer Gewächshausbauer
     mehr. Für Sie bin ich nur ein Scharlatan, aber für den Rest der Welt bin ich der Herrscher über die Zeit, ein wagemutiger
     Unternehmer, der in Afrika tausend Abenteuer erlebt hat und zusammen mit seinem Zauberhund die Nächte an einem Ort verbringt,
     an dem die Zeit nicht vergeht. Ich nehme an, dass ich das Unternehmen deswegen nicht aufgeben wollte, weil das bedeutet hätte,
     wieder ein ganz normaler Mensch zu werden. Wahnsinnig reich, ja, aber auch wahnsinnig normal.»
    Nach diesen Worten drückte er die Türklinke hinunter und verschwand in einer Wolke.
     
    Wells folgte ihm kurz darauf und sah sein missmutiges Gesicht in einem halben Dutzend Spiegeln vervielfältigt. Sie befanden
     sich in einer engen Garderobe voller Kästen und Gestelle, in denen Brustpanzer, Helme und Rüstungen hingen. Gilliam stand
     in einem Winkel des Kabuffs und schaute ihn lächelnd an.
    «Ich habe wahrscheinlich verdient, was mir passieren wird, wenn Sie mir nicht helfen», sagte er.
    |584| Nun war es heraus. Wells hatte schon geargwöhnt, dass Gilliam sich nicht die ganze Mühe gemacht hatte, ihn hierherzubringen,
     nur um ihm eine touristische Führung angedeihen zu lassen. Nein, irgendwas war schiefgelaufen. Und jetzt stand Gilliam unter
     Druck. Jetzt brauchte Gilliam seine Hilfe. Nun kam das Hauptgericht, das der Unternehmer auf den Tisch brachte, nachdem sein
     Gast die Vorspeise der Erklärungen verdaut hatte. Der Unternehmer brauchte zwar seine Hilfe, doch da er nie aufgehört hatte,
     in jenem Ton überheblicher, fast väterlicher Selbstgefälligkeit mit ihm zu reden, würde er sich kaum herablassen, ihn darum
     zu bitten. Er würde einfach voraussetzen, dass er sie bekam. Wells war gespannt, mit welcher Drohung er das erreichen wollte.
    «Gestern besuchte mich Inspektor Colin Garrett von Scotland Yard», berichtete der Unternehmer. «Er untersucht den Fall eines
     Bettlers, der in Marylebone ermordet wurde, was in dem Viertel nichts Ungewöhnliches ist. Das Besondere an diesem Fall ist
     die Waffe, die der Mörder benutzt hat. Der Tote weist ein riesiges Loch in der Brust auf, durch das man durch den ganzen Körper
     hindurchsehen kann wie durch ein Fenster. Es sieht aus, als wäre er von einem Hitzestrahl durchbohrt worden. Die Gerichtsmediziner
     kennen keine Waffe, die ein solches Loch verursachen kann. Jedenfalls nicht in unserer Zeit. Das brachte den Inspektor auf
     den Gedanken, der arme Mann könne mit einer Waffe aus der Zukunft umgebracht worden sein, ganz konkret mit einem der Gewehre,
     wie sie Hauptmann Shackleton und seine Männer benutzen. Deren verheerende Wirkung hatte er während seiner Teilnahme an der
     zweiten Zeitreise erleben können.»
    |585| Gilliam nahm ein Gewehr aus einem der Ständer und gab es Wells. Der Schriftsteller erkannte gleich, dass es sich dabei um
     ein einfaches Holzgewehr handelte, das angemalt und mit einer Menge nutzloser Kurbeln und Bolzen bestückt worden war.
    «Ein Spielzeug, wie Sie sehen. Die Wunden der Maschinenmenschen werden durch kleine Sprengladungen hervorgerufen, die in ihren
     Rüstungen verborgen sind. Für unsere Zuschauer ist dies natürlich eine ebenso echte wie

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