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Die Landkarte der Zeit

Titel: Die Landkarte der Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Félix J. Palma
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Verhalten fürchtete, doch eine krankhafte Erregung trieb
     ihn dazu, wenigstens so viele Schlagzeilen wie möglich zu lesen, war er sich doch dieser einzigartigen Gelegenheit bewusst,
     für die sich viele andere die Köpfe eingeschlagen hätten.
    Dennoch konnte er nicht umhin, sich eine bestimmte Meldung genauer anzusehen, in der es um eine der ersten bekannten Zeitreisen
     ging, wie er aus dem esoterischen Titel der Publikation schloss. Unter der Schlagzeile «Eine Zeitreisende» hieß es, am Morgen
     des 12.   April 1984 hätten Angestellte des Kaufhauses Olsen beim Aufschließen eine Frau im Laden vorgefunden. Anfangs hatten sie geglaubt,
     es mit einer Diebin zu tun zu haben, doch als man sie fragte, wie sie in das Geschäft eingedrungen war, hatte die Frau gesagt,
     sie sei dort einfach aufgetaucht. Noch befremdlicher war, dass die unbekannte Frau behauptete, aus der Zukunft zu kommen,
     genauer gesagt, aus dem Jahr 2008, was ihre merkwürdige Kleidung zu bestätigen schien. Die Frau gab weiterhin an, sie sei
     in ihrem Haus überfallen worden, habe sich aber in ihr Schlafzimmer einschließen können. Verängstigt von dem Lärm, unter dem
     die Einbrecher die Tür einzutreten versuchten, sei sie wohl ohnmächtig geworden. Wieder zu sich gekommen sei |629| sie dann dort an jener Stelle im Kaufhaus Olsen, vierundzwanzig Jahre später. Die Frau hatte nicht von der Polizei vernommen
     werden können, da sie sich nach diesen ersten, etwas zusammenhanglosen Worten, wie man fand, einfach in Luft aufgelöst hatte.
     «War sie zurück in die Zukunft entschwunden?», beendete der Berichterstatter seinen Artikel dräuend.
    «Man vermutet, dass diese Frau der Anfang von allem war», bemerkte Marcus fast respektvoll. Haben Sie sich einmal gefragt,
     warum einige Menschen sich durch die Zeit bewegen können und andere nicht? Die Regierung hat es jedenfalls getan und ließ
     genetische Untersuchungen anstellen. Anscheinend besaßen die Zeitreisenden ein mutierendes Gen; ein Begriff, der Ihnen dieserzeit
     noch unbekannt ist. Ich glaube, er kommt erst in einigen Jahren auf. Ein holländischer Biologe hat ihn geprägt. Es sprach
     viel dafür, dass besagtes Gen diesen Menschen ermöglichte, einen Bereich ihres Gehirns zu aktivieren, der dem Rest der Bevölkerung
     unzugänglich blieb. Die Forschungen deuteten darauf hin, dass es sich um ein vererbbares Gen handelte; das hieß, alle Zeitreisenden
     entstammten ein und demselben fernen Ursprung. Leider konnte man nie bestimmen, wer das war, wenngleich die Regierung diese
     Frau in Verdacht hatte. Viele glauben, sie habe sich mit einem ebenfalls zu Zeitreisen befähigten Mann zusammengetan, und
     aus dieser Verbindung seien Nachkommen mit einem verstärkten Gen entstanden, die sich mit der normalen Bevölkerung vermischten
     und Jahrzehnte später für eine wahre Flut von Zeitreisenden sorgten. Man hat diese Frau nie auffinden können. Nachdem sie
     aus dem Kaufhaus Olsen verschwand, hat man nie wieder etwas von |630| ihr gehört. Und ich darf Ihnen gestehen, dass nicht wenige von uns Zeitreisenden, darunter auch ich selbst, diese Frau wie
     eine Heilige verehren.»
    Wells musste lächeln, als er das Bild dieser gewöhnlich und etwas verwirrt aussehenden Frau betrachtete, die selbst nicht
     glauben zu können schien, was ihr passiert war, und der Marcus den Rang einer Madonna der Zeiten zugesprochen hatte. Wahrscheinlich
     irrte sie längst wieder in einer ganz anderen Zeit umher, falls sie es nicht vorgezogen hatte, ihrem Leben ein Ende zu setzen,
     bevor sie dem Wahnsinn verfiel.
    «Jede dieser Schnüre stellt eine Parallelwelt dar», sagte Marcus, nun wieder die Aufmerksamkeit der Schriftsteller beanspruchend,
     «eine Abzweigung des Weges, dem die Zeit eigentlich hätte folgen müssen. Die grünen Schnüre stellen die Universen dar, die
     bereits restauriert worden sind. Ich halte sie aus reiner Nostalgie noch aufgespannt, da mir einige dieser Reparaturarbeiten
     an der Zeit wirklich nahegegangen sind.»
    Wells betrachtete eine grüne Schnur, von der mehrere bekannte Porträts und Fotos von Ihrer Majestät der Königin herabhingen.
     Die Bilder glichen denen ihrer jetzigen Zeit aufs Haar, abgesehen von der winzigen Kleinigkeit eines rotbraunen Äffchens auf
     der Schulter der Königin.
    «Diese Schnur stellt eine meiner Lieblingsparallelwelten dar», sagte Marcus. «Ein Liebhaber von Zieräffchen hatte Ihrer Majestät
     erzählt, dass jedes lebendige Wesen eine energetische

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