Die Landkarte der Zeit
eiserner Bisons rumpelten
sie dahin. Ich stand auf und schaute mich bestürzt um, war unendlich erleichtert, als ich nirgends eine Spur von Marcus entdeckte.
Auf einer Bank lag eine Zeitung, die ich aufschlug, um zu erfahren, wohin mein neuer Zeitsprung mich geführt hatte, und stellte
fest, dass ich mich im Jahr 1938 befand. Ich machte offenbar Fortschritte; diesmal war ich vierzig Jahre in die Zukunft gereist.
Ich verließ Whitechapel und wanderte voller Staunen durch jenes befremdliche London, in dem das Haus Nr. 50 , Berkeley Square, ein Antiquariat war. Alles hatte sich verändert, wenn auch nicht so sehr, dass ich mich nicht mehr zurechtgefunden
hätte. Stundenlang schlenderte ich verwirrt durch die Straßen, bestaunte die darauf fahrenden Ungetüme, die weder von Pferden
gezogen noch durch Dampf angetrieben wurden, denn diese Antriebsart war entgegen dem, was ihr in eurer Zeit annehmen müsst,
recht kurzlebig gewesen. An mir war die Zeit vorbeigegangen, aber der Welt um mich herum sah man die vierzig Jahre an. Hunderte
neuer Erfindungen um mich herum, eine Vielfalt von Maschinen, welche von der unerschöpflichen Phantasie des Menschen kündeten,
und das, obwohl zum Ende deines Jahrhunderts der Direktor des New Yorker Patentamts dessen Schließung angeregt hatte mit dem
Argument, alles sei bereits erfunden.
Schließlich setzte ich mich auf eine Parkbank und dachte über mein neues Schicksal als Zeitreisender nach. Befand
|661|
ich mich in der Zukunft, von der Marcus uns berichtet hatte? Gab es ein Zeitministerium, an das ich mich wenden konnte? Das
glaubte ich nicht. Ich war ja nur vierzig Jahre in die Zukunft gereist. Falls es in dieser Epoche noch andere Zeitreisende
gab, dürften sie sich ebenso allein und verlassen fühlen wie ich. Dann fragte ich mich, um meinen Verstand wieder auf Touren
zu bringen, ob es mir möglich sein würde, in die Vergangenheit, in deine Epoche zurückzureisen, um dir berichten zu können,
was dich erwartete. Doch nach mehreren vergeblichen Versuchen, noch einmal den Impuls zu mobilisieren, der mich hergebracht
hatte, gab ich es auf. Ich begriff, dass ich in der Zeitfalle saß. Wenigstens lebte ich noch, und es war höchst unwahrscheinlich,
dass Marcus mich an dieser Stelle suchte. Sollte das nicht ein Grund zur Freude sein?
Nachdem ich mich mit meiner Situation abgefunden hatte, beschloss ich, mir als Erstes darüber Klarheit zu verschaffen, was
mit der Welt geschehen war, vor allem mit Jane und meinen Bekannten. Ich suchte eine Bibliothek auf, und nachdem ich stundenlang
in Zeitungen geblättert hatte, konnte ich mir eine allgemeine Vorstellung von der Welt machen, in die es mich verschlagen
hatte. Nicht nur dass sie sich unaufhaltsam auf einen Weltkrieg zubewegte; sie hatte schon ein paar Jahre vorher einen schrecklichen
Krieg erlebt, der acht Millionen Tote gefordert hatte. Doch die Welt hatte nicht daraus gelernt; obwohl ihre Friedhöfe übervoll
waren, befand sie sich in einem offenbar höchst prekären politischen Gleichgewicht, das nichts Gutes verhieß. Ich erinnerte
mich an einige der schrecklichen Schlagzeilen, die ich auf Zeitungsausschnitten an der Landkarte der Zeit hatte hängen sehen,
und ich
|662|
erkannte, dass dieser zweite Weltkrieg nicht verhindert werden konnte, weil er auf einem der Irrwege der Vergangenheit beruhte,
dem die Menschen der Zukunft gefolgt waren. Ich konnte nur seinen Beginn abwarten und möglichst zusehen, nicht unter die Dutzende
von Millionen Toten zu kommen, die innerhalb eines Jahres über die ganze Welt verstreut werden würden.
Ich fand auch eine Zeitungsmeldung, die mich verstörte und gleichzeitig unendlich traurig machte. Es handelte sich um einen
Bericht von der Gedenkfeier zum fünfundzwanzigsten Todestag der Schriftsteller Bram Stoker und Henry James, die bei dem Versuch,
eine Nacht in dem Spukhaus am Berkeley Square zu verbringen, ums Leben gekommen waren. In derselben Nacht hatte die literarische
Welt noch einen weiteren tragischen Verlust hinnehmen müssen: H . G . Wells , der Autor von
Die Zeitmaschine
, war auf rätselhafte Weise verschwunden und nie wieder aufgetaucht. War er etwa auf Zeitreise gegangen?, fragte der Journalist
am Ende seines Artikels spöttisch und ahnte nicht, wie nahe er der Wahrheit war. In dem Zeitungsartikel wurdest du als Vater
der Science-Fiction bezeichnet. Du wirst dich fragen, was zum Teufel das heißen soll. Es ist der Begriff, der
Weitere Kostenlose Bücher