Die Landkarte der Zeit
dass ich irgendwann aufhörte,
auf die Leinwand zu starren, und stattdessen die Gesichter meiner Sitznachbarn beobachtete. Ich kann mir vorstellen, dass
du dasselbe getan hättest, Bertie. Ich weiß, dass du mehr als einmal von dieser
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Möglichkeit geträumt hast, denn ich erinnere mich noch der Wehmut, die dich befiel, wenn ein Leser dir gestand, wie sehr ihm
dein Roman gefallen hatte, ohne dass du in seinem Gesicht ablesen konntest, wie diese oder jene Passage auf ihn gewirkt, ob
er an den richtigen Stellen gelacht oder geweint hatte, denn dazu hättest du dich in seine Bibliothek einschleichen müssen
wie ein gemeiner Dieb. Du kannst aber beruhigt sein. Das Publikum hat genauso reagiert, wie du es dir gewünscht hättest. Seinen
Beitrag dazu hat aber auch Mr. Pal geleistet, der den Geist deiner Geschichte meisterlich eingefangen hat. Allerdings hat er ein paar Änderungen vornehmen
müssen, um sie an die Zeit anzupassen, denn was für dich Zukunft war, ist längst Vergangenheit. Denke zum Beispiel daran,
dass du trotz all der Gedanken, die du dir um den technischen Fortschritt gemacht hast, nie auf die Idee gekommen bist, die
Menschen könnten einen weltumspannenden Krieg anzetteln. Aber sie haben es getan, sogar zwei Mal. Pal hingegen hat deinen
Erfinder nicht nur durch den Ersten und Zweiten Weltkrieg reisen lassen, sondern sich sogar noch einen dritten für das Jahr
1966 ausgedacht. Zum Glück hat sich sein Pessimismus als übertrieben herausgestellt.
Wie gesagt, die Gefühle, die dieses Karussell von Bildern in mir auslöste, waren unbeschreiblich. Es war zwar etwas, das du
geschrieben hattest, aber alles, was da auf der Leinwand zu sehen war, war neu für mich. Mit Ausnahme der Zeitmaschine. Deiner
Maschine, Bertie . Stell dir meine Überraschung vor, als ich sie dort erblickte. Einen Moment lang traute ich meinen Augen kaum, aber es war
keine Sinnestäuschung. Es war deine Maschine, glänzend und wunderschön, zierlich wie ein Musikinstrument, von
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Künstlerhand gemacht und von einer Noblesse, die den Maschinen der Zeit, in der ich gelandet war, längst abhandengekommen
war. Aber wie war sie dorthin gekommen, und wo mag sie jetzt wohl sein, zwanzig Jahre nachdem der Schauspieler, der dich verkörperte,
Rod Taylor, ihr entstiegen ist?
Mehrere Wochen lang durchsuchte ich alle Zeitungen der Bibliothek, und so gelang es mir, ihren verschlungenen Weg zu rekonstruieren.
Ich erfuhr, dass Jane sie mit nach London genommen und im Haus des Rechtsanwalts Evans abgestellt hatte. Der nahm das Auftauchen
dieses absurden, nutzlosen Apparats, der darüber hinaus für seine frisch Angetraute auch noch das Gedenken an ihren verschwundenen
Mann symbolisierte, ergeben hin. Ich stellte mir vor, wie er in schlaflosen Nächten um die Maschine herumschlich, ihre falschen
Knöpfe drückte und den kristallenen Hebel bewegte, bis er ganz sicher war, dass sie wirklich zu nichts nütze war, und sich
schließlich fragte, welches Geheimnis dieser alten Mühle innewohnen mochte, die seine Frau als Zeitmaschine bezeichnete. Jane
würde ihm keine Erklärung darüber abgeben, war die Maschine doch Teil einer Intimität, über die Rechtsanwalt Evans nicht Bescheid
zu wissen brauchte. Als George Pal viele Jahre später mit den Vorbereitungen zu seinem Film begann, sah er sich vor ein Problem
gestellt: Keiner der Entwürfe der Zeitmaschine, die die Produktdesigner ihm gezeichnet hatten, überzeugte ihn. Sie waren hässlich,
grotesk und viel zu kompliziert; eine sah sogar aus wie ein elektrischer Stuhl. Keiner der Entwürfe zeigte auch nur annähernd
den vornehmen Adel jener Maschine, in der er im Geiste seinen Erfinder durch die endlosen Weiten der Zeit reisen
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sah. Daher konnte er es nur als ein Wunder betrachten, als eine gewisse Selma Evans an ihn herantrat und ihm das seltsame
Gerät zum Kauf anbot, das ihre Mutter jeden Sonntag putzte und auf Hochglanz brachte in einem langwierigen, hingebungsvollen
Ritual, das der kleinen Selma mindestens ebenso auf die Nerven ging wie ihrem Vater, dem Rechtsanwalt Evans. Pal war fasziniert.
Das war die Maschine, die er gesucht hatte. Wunderschön und herrschaftlich, besaß sie zugleich die geschmeidige Dynamik der
alten Holmschlitten, mit denen er als Kind so oft gefahren war. Er erinnerte sich, wie ihm der kalte Wind ins Gesicht geschlagen
war, wenn er die verschneiten Hügel hinuntersauste, und er stel te sich vor, wie
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