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Die Landkarte der Zeit

Titel: Die Landkarte der Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Félix J. Palma
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ein solcher Wind auch dir ins Gesicht blasen
     würde, wenn du in dieser Maschine durch die Zeit reistest. Den letzten Anstoß zum Kauf gab ihm die kleine Plakette unter dem
     Armaturenbrett, auf der die Worte eingraviert waren: made by H . G . Wells . Sollte wirklich der Schriftsteller die Maschine konstruiert haben? Und wenn, wozu ? Das Rätsel würde nie gelöst werden, da Wells im Jahr 1896 spurlos verschwunden war, gerade als er berühmt zu werden begann.
     Wie viele wunderbare Romane hätte er noch schreiben können! Wenn ihm auch verborgen blieb, zu welchem Zweck die Maschine gebaut
     worden war, so ahnte er doch, dass die Maschine nirgends besser aufgehoben war als in seinem Film. Er konnte das Studio überreden,
     sie zu kaufen. Und so wurde deine Maschine durch das Kino unsterblich.
    Zehn Jahre später veranstalteten die Studios eine öffentliche Versteigerung von Requisiten und Gegenständen aus ihren Produktionen,
     darunter auch die Zeitmaschine. Sie erzielte einen Preis von zehntausend Dollar, und ihr Käufer
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zog mit ihr durch die Staaten und stellte sie in Städten und Dörfern zur Schau. Nachdem er mit der Maschine verdient hatte,
     was zu verdienen war, verkaufte er sie an einen Antiquitätenhändler im Orange County. Dort wurde sie 1974 zufällig von Gene
     Warren entdeckt, einem der Bühnenbildner bei Pals Film. Verrostet und verbeult stand sie in einer Ecke, und der Sessel fehlte,
     der lange vorher schon verkauft worden war. Warren erstand sie für einen lächerlichen Betrag und restaurierte mit Liebe und
     Hingabe dieses herrliche Spielzeug, das von jedem, der an dem Film mitgewirkt hatte, ins Herz geschlossen worden war. Er reparierte
     die kaputten Teile, polierte das Gestänge und baute sogar aus dem Gedächtnis einen neuen Sessel. Sobald die Maschine wiederhergestellt
     war, konnte sie erneut auf Wanderschaft gehen, wurde auf Volksfesten ausgestellt und sogar bei Veranstaltungen, die in irgendeinem
     Bezug zur Science-Fiction standen, vorgeführt , manchmal sogar von einem Schauspieler in deiner Rolle. Eines Tages zeigte das Titelblatt der Zeitschrift
Star Log
den Regisseur George Pal höchstselbst in der Maschine sitzend, glücklich lachend wie ein Kind, das mit dem Schlitten einen
     verschneiten Hang hinunterfährt. Im selben Jahr verschickte Pal an seine Freunde und Bekannten Weihnachtskarten, auf denen
     der Weihnachtsmann in deiner Zeitmaschine saß. Du kannst dir vorstellen, dass ich seine spaßigen Aktionen mit der Nachsicht
     eines Vaters verfolgte, der die Streiche seines auf Abwege geratenen Sohnes in der Gewissheit betrachtet, dass dieser früher
     oder später zu ihm zurückkehren wird.
    Am 12.   April 1983 begab ich mich zu meiner Verabredung ins Kaufhaus Olsen. Sie war bereits da, war verwirrt und verschreckt, und
     es waren meine Hand und meine ihr
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ins Ohr geflüsterten Worte – «Ich glaube dir, weil ich selbst durch die Zeit reisen kann» – , die sie vor aller Augen verschwinden ließen. Im allgemeinen Chaos, das ihr plötzliches Verschwinden hervorrief, verließen
     wir das Kaufhaus durch die Hintertür, bestiegen die Kutsche, mit der ich gekommen war, und fuhren nach Bath in der Grafschaft
     Somerset, wo ich einige Wochen zuvor ein hübsches Haus im georgianischen Stil gekauft hatte. Dort wollte ich mit ihr wohnen;
     fern von London und den zahllosen Zeitreisenden, die im Regierungsauftrag nach ihr suchen würden, weil man sie zu opfern beschlossen
     hatte, da man in ihr den Ursprung allen Übels sah.
    Anfangs war ich mir nicht sicher, ob ich recht gehandelt hatte. War ich der Richtige gewesen, sie aus dem Kaufhaus Olsen zu
     entführen, oder hatte ich mir nur die Rolle eines anderen Zeitreisenden angemaßt, dem es bestimmt gewesen wäre, die Madonna
     der Zeit zu retten? Die Antwort bekam ich wenige Tage später, an einem wunderschönen Frühlingsmorgen. Wir waren gerade dabei,
     die Wände des Wohnzimmers zu streichen, als sich mitten auf dem Teppich ein etwa drei- oder vierjähriges Kind materialisierte,
     ein kurzes Kichern ausstieß, als würde es gekitzelt, und gleich darauf wieder verschwand. Doch auf dem Teppich hatte es das
     Teilchen eines Puzzles zurückgelassen, mit dem es offenbar gespielt hatte. Nach diesem kurzen und unerwarteten Blick auf den
     Sohn, den wir noch gar nicht gezeugt hatten, begriffen wir, dass mit uns die Zukunft begann. Wir waren es, die das mutierende
     Gen in die Welt setzen würden, welches Jahre oder Jahrhunderte

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