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Die Landkarte der Zeit

Titel: Die Landkarte der Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Félix J. Palma
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falsche Adresse gerichtet.
     Sie lebten im Jahrhundert der Wissenschaft.
    «Wir verlieren nichts, wenn wir es versuchen», hörte er seinen Cousin sagen. «Was meinst du, Andrew?»
    Andrew starrte lange auf den Boden und versuchte den Gefühlsaufruhr in seinem Inneren zu bändigen. Er glaubte zwar nicht an
     die Möglichkeit, aber wenn sie bestand, wie konnte er sie dann ausschlagen! Es war genau das, was er immer gewollt hatte;
     die Gelegenheit, auf die er seit Jahren wartete. Er hob den Kopf und schaute seinen Cousin unbehaglich an.
    «Einverstanden», sagte er heiser.
    «Großartig, Andrew», jubelte Charles und klopfte ihm auf die Schulter. «Ganz großartig.»
    Andrew warf ihm einen zweifelnden Blick zu und schaute wieder auf seine Schuhe, versuchte das Ganze zu verdauen: Er würde
     in eine bekannte Vergangenheit reisen, zu den schon einmal benutzten Momenten seines Lebens, zu seinen eigenen Erinnerungen.
    «Also gut», sagte Charles und sah auf seine Taschenuhr, «zuerst einmal gehen wir essen. Es ist nicht ratsam, mit nüchternem
     Magen zu reisen.»
    Sie verließen das Zimmerchen und gingen zu Charles’ Kutsche, die vor dem Eingang wartete. In dieser Nacht, als wäre es eine
     ganz gewöhnliche, absolvierten sie den |116| üblichen Rundgang. Sie aßen im Café Royal zu Abend   – Charles starb für die Fleischpastete, die sie dort machten – und gingen zur Verdauung ins Bordell von Madame Norrell   – Charles nahm sich gern der Neuerwerbungen an, bevor sie durch zu viele Hände gegangen waren. Am Ende landeten sie im Coleridges
     – deren Champagnerauswahl Charles höher schätzte als die jeder anderen Bar – und tranken dort bis zum Morgengrauen. Bevor
     der Alkohol ihnen zu sehr zu Kopf steigen konnte, erklärte Charles, dass man in einer Straßenbahn namens Cronotilus, die von
     einer gewaltigen Dampfmaschine angetrieben werde, ins Jahr 2000 fahre, doch Andrew stand nicht der Sinn nach Zukunft. Mit
     seinen Gedanken war er genau in der Gegenrichtung unterwegs, stellte sich vor, wie es sein musste, in die Vergangenheit zu
     reisen. Dort könnte er Marie retten, hatte sein Cousin ihm versichert, indem er den Ripper aufhielt. In den vergangenen Jahren
     hatte Andrew einen glühenden Zorn auf dieses Ungeheuer entwickelt, den er immer für sinnlos gehalten hatte, jetzt jedoch von
     der Kette lassen könnte. Andererseits war es nicht dasselbe, gegen einen Mann zu wüten, der hingerichtet worden war, wie gegen
     denselben in der Wirklichkeit anzutreten, in einer Art Faustkampf, den Murray für ihn organisierte. Er umklammerte die Waffe
     in seiner Tasche, während er an den harten Zusammenprall mit dem knorrigen Mann in der Hanbury Street dachte, und versuchte
     sich mit dem Gedanken Mut zu machen, dass er zwar noch nie auf einen Menschen geschossen, seine Treffsicherheit aber an Flaschen,
     Tauben und Kaninchen trainiert hatte. Wenn er kaltes Blut bewahrte, würde alles gutgehen. Er würde ruhig auf das Herz oder
     den Kopf zielen, ohne Hast abdrücken |117| und den Ripper zum zweiten Mal sterben sehen. Ja, das würde er. Nur würde, als hätte jemand eine lockere Schraube im Getriebe
     der Welt angezogen und es damit wieder zum Rundlaufen gebracht, der Tod des Rippers diesmal Marie Kelly das Leben zurückgeben.

|118| VII
    Trotz der frühen Morgenstunde wimmelte es von Menschen in Soho. Man sah Männer mit Bowlern und Frauen mit blumengeschmückten
     Hütchen, in denen manchmal sogar ein künstliches Vögelchen nistete. Arm in Arm flanierten die Paare auf den Gehwegen, betraten
     Geschäfte und kamen aus Läden oder versuchten auf die andere Straßenseite zu gelangen, dabei Ausschau haltend nach einer Lücke
     in dem wie Lava sich durch die Straßen wälzenden Strom von Luxuskarossen, kleinen Cabriolets, zweistöckigen Bussen und Karren,
     beladen mit Fässern, Bergen von Obst und Gemüse oder geheimnisvoll unter einer Plane verborgener Fracht, welche vielleicht
     aus vom Friedhof gestohlenen Leichen bestand. An den Straßenecken sah man, schmutzig und zerlumpt, drittklassige Maler, Schauspieler
     und Gaukler ihr zweifelhaftes Talent in der Hoffnung vorführen, einem gelangweilten Agenten oder Impresario aufzufallen. Charles
     hatte, seit sie unterwegs waren, ununterbrochen geredet, doch im kreischenden Lärm der über das Kopfsteinpflaster ratternden
     Räder, der gellenden Rufe von Straßenverkäufern und Möchtegernartisten nahm Andrew dessen Worte kaum auf. Lethargisch ließ
     er sich von seinem

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