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Die Landkarte der Zeit

Titel: Die Landkarte der Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Félix J. Palma
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allgegenwärtigen Ticken der Uhren angepassten Schritten. Nach einem
     höflichen Gruß informierte sie sie mit lebhafter Freundlichkeit, dass noch Plätze für die dritte Reise ins Jahr 2000 zu haben
     seien, und falls sie es wünschten, könne sie ihnen noch welche reservieren. Mit seinem bezauberndsten Lächeln lehnte Charles
     ihr Angebot ab und erklärte ihr, sie seien gekommen, um mit Mr.   Gilliam Murray zu sprechen. Nach kurzem Zögern bestätigte die junge Dame, dass Mr.   Murray im Hause sei und sie alles versuchen wolle, dass er sie trotz seiner zahlreichen Verpflichtungen empfange, was Charles
     ihr mit einem noch breiteren Lächeln dankte. Nachdem sie sich vom Anblick dieser zwei Reihen makellos weißer Zähne gelöst
     hatte, drehte sie sich um und bedeutete ihnen, ihr |122| zu folgen. Am Ende des Saals führte eine breite Marmortreppe zu den oberen Räumen. Geleitet von der jungen Dame, durchschritten
     Charles und Andrew einen langen Korridor, dessen Wände mit Darstellungen des Kriegs der Zukunft tapeziert war. Wie nicht anders
     zu erwarten, war auch der Flur mit allen Arten von Uhren überladen, die, an den Wänden oder auf Kommoden verteilt, die Luft
     mit ihrem unablässigen Ticken erfüllten. Als sie die prunkvolle Tür erreichten, die zu Mr.   Murrays Arbeitszimmer führte, bat die Dame sie, zu warten, doch Charles überhörte ihre Bitte und betrat, seinen Cousin hinter
     sich herziehend, gleich nach ihr das Büro.
    Die Ausmaße des Zimmers überraschten Andrew ebenso wie die unordentlich umherstehenden Möbel und zahllosen Landkarten an den
     Wänden, die ihn an das Zelt eines Marschalls im Krieg erinnerten, in dem die Strategie für die nächste Schlacht entworfen
     wurde. Sie mussten sich mehrmals umschauen, bevor sie Gilliam Murray erblickten, der der Länge nach auf dem Teppich lag und
     mit einem Hund spielte.
    «Guten Tag, Mr.   Murray», begrüßte ihn Charles, der sich an der Sekretärin vorbeigedrängelt hatte. «Ich bin Charles Winslow, und dies ist mein
     Cousin Andrew Harrington. Wir würden uns gern mit Ihnen unterhalten, wenn Ihre Zeit es erlaubt.»
    Gilliam Murray, ein Mann von mächtiger Statur, der einen auffälligen malvenfarbenen Anzug trug, nahm die Anspielung sportlich
     und beantwortete Charles’ ironische Begrüßung mit einem Lächeln; es war das undurchsichtige Lächeln eines Mannes, der den
     Ärmel voller Asse hat und nicht zögern würde, sie auszuspielen.
    |123| «Um zwei so vornehmen Herren zu Diensten zu sein, opfere ich gern einen Moment meiner kostbaren Zeit», antwortete er und erhob
     sich vom Teppich.
    Als er vor ihnen stand, konnten Charles und Andrew feststellen, dass Gilliam Murray durch irgendeinen Zauber unglaublich kolossal
     geraten war. Alles an ihm war doppelt so groß wie normal; von den Händen, die einen Stier bei den Hörnern packen und ihn zu
     Boden zwingen konnten, bis zu seinem Kopf, der dem eines Minotaurus ähnelte. Trotz seiner märchenhaften Gestalt bewegte sich
     der Impresario nicht unbeholfen, sondern mit überraschender und sogar sinnlicher Behändigkeit. Sein weizenblondes Haar war
     straff nach hinten gekämmt, und in seinen riesigen blauen Augen glomm ein Feuer, das einen ehrgeizigen und hochmütigen Geist
     verriet und das er mit der breiten Skala freundlichen Lächelns, die seine fleischigen Lippen hervorzubringen vermochten, zu
     mildern gelernt hatte.
    Mit einer Handbewegung forderte der Riese sie auf, ihm zu seinem Schreibtisch zu folgen, der ganz hinten im Arbeitszimmer
     stand. Er führte sie auf unsichtbaren Gängen zwischen zahllosen Standgloben und überall umherstehenden, mit Büchern und Heften
     überladenen Tischchen hindurch. Auch die unvermeidlichen Uhren fehlten nicht, wie Andrew feststellte. Neben den Wanduhren,
     die bis an die Bücherregale reichten, gab es noch eine große Vitrine voll tragbarer Schatten- und Sonnenuhren, fein gearbeiteter
     Wasseruhren und weiterer Apparaturen, die das Vergehen der Zeit bezeugten. Andrew konnte sich jedoch des Eindrucks nicht erwehren,
     dass Gilliam Murray all diese Objekte nur zur Schau stellte, um deren Lächerlichkeit deutlich |124| zu machen; das vergebliche Bemühen des Menschen, die absolute und ebenso rätselhafte wie unbezwingbare Kraft, welche die Zeit
     darstellte, festhalten zu wollen. Das Einzige, was der Mensch damit erreicht hatte, schien der Impresario mit seiner zusammengewürfelten
     Uhrensammlung sagen zu wollen, war, dass er die Zeit ihrer

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