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Die Landkarte der Zeit

Titel: Die Landkarte der Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Félix J. Palma
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einmal durchgeblättert hatte.
    Als Charles seinen abwesenden Blick gewahrte, schüttelte er in theatralischer Untröstlichkeit den Kopf, bedeutete ihm, sich
     wieder zu setzen, zog einen anderen Stuhl herbei und setzte sich ihm gegenüber. Leicht vorgebeugt wie ein Priester, der sich
     anschickt, einem Gläubigen die Beichte abzunehmen, erzählte er ihm in kurzen Worten den Inhalt des Buches, das seiner Meinung
     nach England revolutioniert hatte. Andrew hörte skeptisch zu. Wie man dem Titel entnehmen konnte, handelte es von einem Wissenschaftler,
     der eine Zeitmaschine erfand, mit der man durch die Jahrhunderte reisen konnte. Mit Hilfe eines einfachen Schalthebels an
     seiner Apparatur beschleunigte sich der Erfinder in die Zukunft hinein und sah staunend, wie um ihn her Schnecken so schnell
     wie Hasen liefen, Bäume wie Fontänen aus dem Boden sprangen und die Sterne an einem Himmel wirbelten, der Tag und Nacht in
     einem einzigen Atemzug verstreichen ließ. Auf seiner unwahrscheinlichen Reise gelangte er bis ins Jahr 802701, wo er eine
     Gesellschaft antraf, die sich in zwei gegnerische Rassen aufgeteilt hatte: die schönen und nutzlosen Eloi und die Morlocks,
     monströse Geschöpfe, die unter der Erde lebten und sich von den oberirdischen Nachbarn ernährten, die sie wie Nutzvieh hielten.
     Als Andrew das hörte, verzog er angewidert den Mund, worüber sein Cousin lachen musste und ihm sogleich erklärte, die Handlung
     an sich sei nicht von Bedeutung, sie diene nur dazu, eine naive Karikatur der heutigen Gesellschaft zu zeichnen. Was den Verstand
     der Engländer erschüttert hatte, war die Tatsache, dass Wells |111| die Zeit als eine vierte Dimension behandelte, sie zu einer Art Tunnel gestaltete, durch den man reisen konnte.
    «Wie wir alle wissen, hat jeder Gegenstand drei Dimensionen», erklärte Charles, nahm seinen Hut ab und drehte ihn wie ein
     Zauberer zwischen den Händen. «Höhe, Länge, Breite. Damit dieser Gegenstand aber wirklich existiert, damit dieser Hut Bestandteil
     der Realität wird, in der wir uns befinden, braucht er aber noch etwas, nämlich Dauer. Er braucht nicht nur die räumliche
     Ausdehnung, sondern auch die zeitliche. Wir sehen den Hut nicht nur, weil er Platz einnimmt, sondern auch Zeit. Das verhindert,
     dass er vor unseren Augen verschwindet. Also, wir leben in einer dreidimensionalen Welt. Wenn wir jetzt die Zeit als eine
     weitere Dimension sehen, was hindert uns, uns darin zu bewegen? Wir tun es ja schon. Du und ich und unsere Hüte, wir schreiten
     in der Zeit voran, wenn auch nur langsam und linear, ohne eine einzige Sekunde zu überspringen, unerbittlich bis an unser
     Ende. Und Wells fragt sich in seinem Buch, warum wir unsere Reise nicht beschleunigen oder uns sogar umdrehen und rückwärtsreisen
     bis in die Region, die wir Vergangenheit nennen und die nichts anderes ist als der abgespulte Faden unseres Knäuels. Wenn
     die Zeit eine räumliche Dimension ist, warum können wir uns dann nicht frei in ihr bewegen, wie wir es in den anderen drei
     Dimensionen tun?»
    Mit seinen Ausführungen zufrieden, legte Charles den Hut wieder aufs Bett. Nachdenklich schaute er Andrew an, ließ ihm Zeit,
     seine Worte zu verdauen.
    «Ich muss gestehen, nachdem ich den Roman gelesen hatte, schien mir das eine sehr einfallsreiche Art zu sein, einem Gedanken,
     der immer nur Phantasie war, Wahrscheinlichkeit |112| zu verleihen», fuhr Charles nach einer Weile fort, als Andrew nichts sagte, «aber ich erwartete nicht, dass die Wissenschaft
     es annehmbar fand. Das Buch wurde ein ungeheurer Erfolg, Andrew. In den Clubs, den Salons, in Universitäten und Kantinen wurde
     über nichts anderes mehr gesprochen. Die Krise in den Vereinigten Staaten und ob England davon betroffen wird, Waterhouses
     Malerei, Oscar Wildes Theaterstücke, alles kein Thema mehr. Die Leute diskutierten nur noch darüber, ob Zeitreisen möglich
     waren oder nicht. Sogar die Frauen bei ihren Kaffeekränzchen konnten sich diesem Sog nicht entziehen. Darüber zu spekulieren,
     wie die Welt von morgen aussähe, oder zu debattieren, welche Ereignisse der Vergangenheit verändert werden müssten, wurde
     der Lieblingszeitvertreib aller Engländer, die sicherste Methode, die Konversation beim Nachmittagstee zu beleben. Es waren
     natürlich fruchtlose Diskussionen, da man nie zu einem klärenden Schluss kommen konnte, ausgenommen in wissenschaftlichen
     Kreisen, wo die Debatte noch viel hitziger betrieben wurde und von

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