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Die Landkarte der Zeit

Titel: Die Landkarte der Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Félix J. Palma
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Erfindung steht die Anstrengung eines Menschen, ein der Lösung eines Problems geweihtes Leben, um einen Mechanismus
     zu erfinden, der den Menschen überlebt und dann zu einer Welt gehört, die ohne ihn weitergeht. Solange es Menschen gibt, die
     sich nicht damit begnügen, die Früchte der Bäume zu verzehren oder Trommeln zu schlagen, damit es regnet, die sich entschließen,
     ihre Intelligenz zu nutzen, um über die Rolle eines Parasiten im Garten Gottes hinauszuwachsen, so lange wird die Wissenschaft
     nicht sterben. Darum zweifle ich auch nicht daran, dass, so wie es jetzt schon Kutschen mit Flügeln gibt, mit denen man wie
     ein Vogel fliegen kann, bald jedermann eine Maschine wie die von Wells beschriebene besitzen wird. Der Mensch der |130| Zukunft wird ein Doppelleben führen können, in dem er während der Woche in einer Bank arbeitet und am Sonntag die schöne Nefertiti
     als Liebhaber beglückt oder Hannibal hilft, Rom zu erobern. Können Sie sich vorstellen, wie so eine Erfindung unsere Gesellschaft
     verändern würde?» Gilliam musterte sie ein paar Sekunden belustigt, dann stellte er das Kästchen wieder auf den Schreibtisch
     zurück, mit geöffnetem Deckel, so wie man eine Auster oder einen Verlobungsring zur Seite legt. Dann fuhr er fort: «Doch solange
     die Wissenschaft noch nach einer Möglichkeit sucht, diese Träume Wirklichkeit werden zu lassen, haben wir etwas anderes, womit
     wir durch die Zeit reisen können. Nur können wir damit leider nicht unser Ziel bestimmen.»
    «Was meinen Sie?», fragte Andrew.
    «Ich meine damit   … Magie», enthüllte Gilliam mit heiserer Stimme.
    «Magie?», fragte Andrew blöde nach.
    «Ja, Magie», wiederholte Murray und fuchtelte mit den Fingern geheimnisvoll in der Luft, wobei er das Geräusch des in einem
     Kamin heulenden Windes nachmachte. «Doch nicht die Magie, die uns im Theater geboten wird, und auch nicht die der Spinner
     vom Golden Dawn. Was ich meine, ist die authentische Magie. Glauben Sie an Magie, Gentlemen?»
    Andrew und Charles zögerten, waren etwas verwirrt von der Richtung, die das Gespräch genommen hatte, doch Gilliam erwartete
     gar keine Antwort.
    «Natürlich nicht», sagte er bedauernd. «Deshalb vermeide ich es auch möglichst, sie zu erwähnen. Die Kundschaft soll lieber
     glauben, dass wir mittels der Wissenschaft in die Zukunft reisen. An die Wissenschaft glaubt jeder. |131| Die Wissenschaft genießt heutzutage eine größere Glaubwürdigkeit als die Magie. Wir leben in modernen Zeiten. Aber die Magie
     existiert, glauben Sie mir.»
    Dann erhob er sich, zu Charles’ und Andrews Überraschung, behände aus seinem Sessel und stieß einen schrillen Pfiff aus. Der
     Hund, der die ganze Zeit auf dem Teppich gelegen hatte, sprang auf und trottete, lebhaft mit dem Schwanz wedelnd, zu seinem
     Herrn.
    «Gentlemen, ich darf Ihnen Eterno vorstellen», sagte er, derweil ihm der so Genannte aufgeregt um die Beine lief. «Mögen Sie
     Hunde? Keine Angst, Sie können ihn streicheln.»
    Als handelte es sich um eine Bedingung, die erfüllt werden musste, damit Gilliam seinen Vortrag fortsetzte, erhoben sich Charles
     und Andrew und ließen ihre Hände über den Rücken des Tieres gleiten, eines nervösen Golden Retrievers mit weichem, gepflegtem
     Fell.
    «Gentlemen», fuhr Murray nun fort, «seien Sie sich bewusst, dass Sie ein Wunder streicheln. Denn wie ich Ihnen schon sagte,
     die Magie existiert. Man kann sie sogar anfassen. Was glauben Sie, wie alt Eterno ist?»
    Charles besaß mehrere Hunde in seinem Landhaus und war von Kindesbeinen an den Umgang mit ihnen gewohnt, sodass ihm die Frage
     nicht schwer zu beantworten schien. Er sah sich mit Kennermiene das Gebiss des Hundes an und antwortete, ohne zu zögern:
    «Ein Jahr, höchstens zwei.»
    «In der Tat», bestätigte Gilliam, ließ sich auf die Knie nieder und kratzte zärtlich den Hals des Hundes, «ein Jahr ist dein
     scheinbares Alter, nicht wahr? Dein Alter in der realen Zeit.»
    |132| Andrew warf seinem Cousin einen Blick zu, um zu sehen, was der von der ganzen Sache hielt. Charles beruhigte ihn mit einem
     gelassenen Lächeln.
    «Wie schon gesagt», fuhr Murray fort und erhob sich, «ich wollte mein Unternehmen nicht nach dem Buch von Wells aufbauen.
     Es war reiner Zufall, und ich will nicht leugnen, dass sein Buch mir große Dienste erwiesen hat, denn Wells hat tief in der
     Gesellschaft verborgene Wünsche geweckt. Wissen Sie, was die Zeitreisen so attraktiv macht? Dass

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