Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die Landkarte der Zeit

Titel: Die Landkarte der Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Félix J. Palma
Vom Netzwerk:
Geheimnis anvertrauen konnte. Wir verabredeten uns ein paarmal, um uns kennenzulernen und zu sehen, ob wir einander
     vertrauen konnten. Wir stellten sogleich fest, dass dies der Fall war; unter anderem deswegen, weil wir ähnliche Meinungen
     über die vielfältigen Gefahren hatten, die eine Zeitreise mit sich brächte. Hier auf dem Dachboden hat er seine Erfindung
     vollendet. Und diese Plakette dort war seine liebenswürdige Art, mir für die Mitarbeit zu danken. Ich weiß nicht, ob Sie sich
     an mein Buch erinnern; aber dieses Wunderwerk ähnelt in nichts dem grauenhaften Möbel, welches den Umschlag des Buches illustriert.
     Selbstverständlich funktioniert es auch anders. Aber fragen Sie mich nicht wie; ich bin kein Wissenschaftler. Als es ans Ausprobieren
     ging, beschlossen wir, dass ihm diese Ehre zustand. Ich würde die Operation von der Gegenwart aus beobachten. Da wir nicht
     wussten, ob die Maschine mehr als eine Reise überstehen würde, einigten wir uns auf eine Reise in eine möglichst ferne Vergangenheit.
     Wir wählten die Zeit vor der Ankunft der Römer, als es hier nur Hexen und Druiden gab; eine Epoche, in der nicht von vornherein
     mit großen Gefahren zu rechnen war, es sei denn, die Druiden beschlössen, ihn irgendeiner Gottheit zu opfern. Mein Freund
     bestieg die Zeitmaschine, stellte das vereinbarte Datum ein und zog den Hebel herunter. Ich sah ihn vor meinen Augen verschwinden.
     Zwei Stunden später kam die Maschine ohne ihn zurück. Sie war in einwandfreiem Zustand, wenn man von einigen beunruhigend
     frischen Blutspuren auf dem Sitz absah. Seither habe ich nichts mehr von ihm gehört.»
    Beklommenes Schweigen machte sich breit.
    «Haben Sie selbst sie auch ausprobiert?», fragte Charles |225| schließlich und ließ den Revolver für einen Moment sinken.
    «Ja», bekannte Wells ein wenig verlegen. «Aber nur kleine Erkundungsreisen vier oder fünf Jahre in die Vergangenheit, mehr
     nicht. Allerdings habe ich mich nicht getraut, irgendwelche Dinge zu verändern, weil ich nicht wusste, welche Auswirkungen
     dies auf das Zeitgefüge haben würde. Ich habe mich nicht einmal getraut, in die Zukunft zu reisen. Mir fehlt wohl der Abenteurergeist
     des Erfinders aus meinem Roman. Ich wollte die Maschine sogar zerstören.»
    «Zerstören?», rief Charles empört. «Warum?»
    Wells zuckte die Schultern und gab damit zu verstehen, dass er darauf auch keine klare Antwort wusste.
    «Ich weiß nicht, was meinem Freund zugestoßen ist», fuhr er fort. «Vielleicht gibt es in der Zeit Beobachter, die sofort auf
     jeden schießen, der die Vergangenheit zu seinen Gunsten zu verändern sucht. Wer weiß. Vielleicht ist sein Verschwinden auch
     einfach nur ein Unfall. Jedenfalls weiß ich nicht recht, was ich mit seinem ungewöhnlichen Nachlass anstellen soll.» Er deutete
     missmutig auf die Maschine, als sei sie ein Kreuz, das zu tragen ihm auferlegt war, wenn er das Haus verließ. «Ich wage sie
     nicht der Öffentlichkeit vorzustellen, weil ich beim besten Willen nicht weiß, ob sie die Welt zum Guten oder zum Bösen verändern
     wird. Haben Sie sich einmal gefragt, was den Menschen zu einem verantwortungsbewussten Wesen macht? Ich will es Ihnen sagen:
     Es ist die Tatsache, dass er das, was er tut, nur einmal tun kann. Gäbe es Maschinen, die uns erlaubten, selbst unsere dümmsten
     Fehler zu korrigieren, lebten wir in einer Welt der Verantwortungslosigkeit. Und falls ich |226| eines Tages der Versuchung erliege, die Maschine zu persönlichen Zwecken zu missbrauchen, beispielsweise, um in der Vergangenheit
     etwas zu verändern oder in die Zukunft zu reisen mit der Absicht, irgendeine unglaubliche Erfindung zu stehlen? Damit würde
     ich den Traum meines Freundes verraten   …» Wells seufzte entmutigt. «Wie Sie sehen, wird diese außergewöhnliche Maschine allmählich zu einer Last für mich.»
    Er musterte Andrew von Kopf bis Fuß, so lange, dass es fast einschüchternd wirkte, als wolle er ihm per Augenschein einen
     Sarg anmessen.
    «Aber Sie wollen sie benutzen, um ein Menschenleben zu retten», fuhr er nachdenklich fort. «Eine vornehme Absicht. Wenn ich
     es Ihnen gestatte, und Sie schaffen es, ist die Existenz dieser Maschine vielleicht gerechtfertigt.»
    «Genau! Was kann es Edleres geben, als ein Leben zu retten?», bestätigte Charles mit Blick zu seinem Cousin, der nach Wells’
     unverhoffter Zustimmung stumm geworden zu sein schien. «Und ich versichere Ihnen, Andrew wird es schaffen.»

Weitere Kostenlose Bücher