Die Landkarte der Zeit
Geheimnis anvertrauen konnte. Wir verabredeten uns ein paarmal, um uns kennenzulernen und zu sehen, ob wir einander
vertrauen konnten. Wir stellten sogleich fest, dass dies der Fall war; unter anderem deswegen, weil wir ähnliche Meinungen
über die vielfältigen Gefahren hatten, die eine Zeitreise mit sich brächte. Hier auf dem Dachboden hat er seine Erfindung
vollendet. Und diese Plakette dort war seine liebenswürdige Art, mir für die Mitarbeit zu danken. Ich weiß nicht, ob Sie sich
an mein Buch erinnern; aber dieses Wunderwerk ähnelt in nichts dem grauenhaften Möbel, welches den Umschlag des Buches illustriert.
Selbstverständlich funktioniert es auch anders. Aber fragen Sie mich nicht wie; ich bin kein Wissenschaftler. Als es ans Ausprobieren
ging, beschlossen wir, dass ihm diese Ehre zustand. Ich würde die Operation von der Gegenwart aus beobachten. Da wir nicht
wussten, ob die Maschine mehr als eine Reise überstehen würde, einigten wir uns auf eine Reise in eine möglichst ferne Vergangenheit.
Wir wählten die Zeit vor der Ankunft der Römer, als es hier nur Hexen und Druiden gab; eine Epoche, in der nicht von vornherein
mit großen Gefahren zu rechnen war, es sei denn, die Druiden beschlössen, ihn irgendeiner Gottheit zu opfern. Mein Freund
bestieg die Zeitmaschine, stellte das vereinbarte Datum ein und zog den Hebel herunter. Ich sah ihn vor meinen Augen verschwinden.
Zwei Stunden später kam die Maschine ohne ihn zurück. Sie war in einwandfreiem Zustand, wenn man von einigen beunruhigend
frischen Blutspuren auf dem Sitz absah. Seither habe ich nichts mehr von ihm gehört.»
Beklommenes Schweigen machte sich breit.
«Haben Sie selbst sie auch ausprobiert?», fragte Charles |225| schließlich und ließ den Revolver für einen Moment sinken.
«Ja», bekannte Wells ein wenig verlegen. «Aber nur kleine Erkundungsreisen vier oder fünf Jahre in die Vergangenheit, mehr
nicht. Allerdings habe ich mich nicht getraut, irgendwelche Dinge zu verändern, weil ich nicht wusste, welche Auswirkungen
dies auf das Zeitgefüge haben würde. Ich habe mich nicht einmal getraut, in die Zukunft zu reisen. Mir fehlt wohl der Abenteurergeist
des Erfinders aus meinem Roman. Ich wollte die Maschine sogar zerstören.»
«Zerstören?», rief Charles empört. «Warum?»
Wells zuckte die Schultern und gab damit zu verstehen, dass er darauf auch keine klare Antwort wusste.
«Ich weiß nicht, was meinem Freund zugestoßen ist», fuhr er fort. «Vielleicht gibt es in der Zeit Beobachter, die sofort auf
jeden schießen, der die Vergangenheit zu seinen Gunsten zu verändern sucht. Wer weiß. Vielleicht ist sein Verschwinden auch
einfach nur ein Unfall. Jedenfalls weiß ich nicht recht, was ich mit seinem ungewöhnlichen Nachlass anstellen soll.» Er deutete
missmutig auf die Maschine, als sei sie ein Kreuz, das zu tragen ihm auferlegt war, wenn er das Haus verließ. «Ich wage sie
nicht der Öffentlichkeit vorzustellen, weil ich beim besten Willen nicht weiß, ob sie die Welt zum Guten oder zum Bösen verändern
wird. Haben Sie sich einmal gefragt, was den Menschen zu einem verantwortungsbewussten Wesen macht? Ich will es Ihnen sagen:
Es ist die Tatsache, dass er das, was er tut, nur einmal tun kann. Gäbe es Maschinen, die uns erlaubten, selbst unsere dümmsten
Fehler zu korrigieren, lebten wir in einer Welt der Verantwortungslosigkeit. Und falls ich |226| eines Tages der Versuchung erliege, die Maschine zu persönlichen Zwecken zu missbrauchen, beispielsweise, um in der Vergangenheit
etwas zu verändern oder in die Zukunft zu reisen mit der Absicht, irgendeine unglaubliche Erfindung zu stehlen? Damit würde
ich den Traum meines Freundes verraten …» Wells seufzte entmutigt. «Wie Sie sehen, wird diese außergewöhnliche Maschine allmählich zu einer Last für mich.»
Er musterte Andrew von Kopf bis Fuß, so lange, dass es fast einschüchternd wirkte, als wolle er ihm per Augenschein einen
Sarg anmessen.
«Aber Sie wollen sie benutzen, um ein Menschenleben zu retten», fuhr er nachdenklich fort. «Eine vornehme Absicht. Wenn ich
es Ihnen gestatte, und Sie schaffen es, ist die Existenz dieser Maschine vielleicht gerechtfertigt.»
«Genau! Was kann es Edleres geben, als ein Leben zu retten?», bestätigte Charles mit Blick zu seinem Cousin, der nach Wells’
unverhoffter Zustimmung stumm geworden zu sein schien. «Und ich versichere Ihnen, Andrew wird es schaffen.»
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