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Die Landkarte der Zeit

Titel: Die Landkarte der Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Félix J. Palma
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ist keine Frage des Geldes», warf Jane ein. «Mr.   Murray hat Bertie mehrmals eingeladen, an einer seiner Zeitreisen teilzunehmen, aber er hat immer abgelehnt.»
    Ihr Blick hatte bei diesen Worten auf Wells geruht, in der Hoffnung vielleicht, ihr Ehemann möge sich zu einer Erklärung für
     seine systematische Ablehnung bereitfinden. Der jedoch starrte nur finster auf seinen Kaninchenbraten.
    «Es ist nur zu verständlich, dass man nicht in einer überfüllten Straßenbahn reisen mag, wenn man denselben Weg in einer luxuriösen
     Kutsche zurücklegen kann», warf Andrew ein.
    Die drei anderen schauten ihn an, warfen sich fragende Blicke zu und nickten bedächtig.
    «Reden wir doch von dem, was uns wirklich interessiert», ergriff Wells nun mit wiedererwachter Lebhaftigkeit das Wort und
     wischte sich die Hände an seiner Serviette ab. «Auf einer meiner Reisen mit der Maschine bin ich sechs Jahre zurück in die
     Vergangenheit gefahren und oben auf dem Dachboden gelandet, als die vorherigen Mieter noch hier wohnten. Wenn ich mich recht
     erinnere, hatten sie ein |230| Pferd, das im Garten angebunden war. Ich empfehle Ihnen, so leise wie möglich am Efeu nach unten zu klettern, damit die Bewohner
     nicht aufwachen. Dann nehmen Sie das Pferd und reiten so schnell wie möglich nach London. Wenn Sie den Ripper erledigt haben,
     kommen Sie wieder hierher zurück, steigen in die Maschine, stellen das heutige Datum ein und ziehen den Hebel langsam nach
     unten. So weit alles klar?»
    «Ja, ja, alles klar   …», stammelte Andrew.
    Charles hatte sich auf seinem Stuhl zurückgelehnt und betrachtete ihn versonnen.
    «Du wirst die Vergangenheit verändern, lieber Cousin», sagte er träumerisch. «Ich kann es noch gar nicht glauben.»
    Jane kam mit einer Flasche Sherry und schenkte ihren Gästen ein. Sie tranken mit Bedacht und schauten hin und wieder mit sichtbarer
     Ungeduld auf ihre Uhren, bis der Schriftsteller sagte:
    «Nun, es ist an der Zeit, der Geschichte gegenüberzutreten.»
    Er stellte sein Glas ab, und mit einem feierlichen Kopfnicken führte er sie wieder auf den Dachboden. Die Zeitmaschine erwartete
     sie.
    «Hier, mein Lieber», sagte Charles und reichte seinem Cousin den Revolver. «Er ist geladen. Wenn du auf den Schweinehund schießt,
     ziele auf die Brust, das ist am sichersten.»
    «Wird gemacht», antwortete Andrew, nahm mit zitternder Hand den Revolver und steckte ihn schnell in die Tasche, damit Wells
     und Charles seine Angst nicht bemerkten. Beide nahmen ihn am Arm und führten ihn feierlich |231| zur Zeitmaschine. Andrew schwang die Beine über die Messingstange und ließ sich in dem Sessel nieder. Eine Wolke der Unwirklichkeit
     umgab ihn, hinderte ihn jedoch nicht daran, mit einer Mischung aus Furcht und Grausen die dunklen Flecke auf dem Sitz wahrzunehmen.
    «Jetzt hören Sie mir gut zu», sagte Wells in befehlendem Ton. «Treten Sie mit keinem Menschen in Kontakt, nicht einmal mit
     Ihrer Geliebten, so stark Ihr Wunsch auch sein mag, sie lebendig zu sehen. Töten Sie den Ripper, und kehren Sie dahin zurück,
     wo Sie waren, bevor Ihr Ich in der Vergangenheit auftauchte. Ich weiß nicht, welche Folgen so eine widernatürliche Begegnung
     haben könnte, aber ich fürchte, dass sie ein Beben im Zeitgefüge auslösen könnte, eine Katastrophe, die die Welt vernichten
     würde. Haben Sie das alles verstanden?»
    «Ja, keine Sorge», murmelte Andrew, der von Wells’ ernsten Worten fast noch mehr eingeschüchtert war als von den fatalen Folgen,
     die, wenn er nicht aufpasste, sein Einfall, Marie Kelly zu retten, haben konnte.
    «Noch etwas», sagte Wells, diesmal weniger drohend. «Die Reise wird nicht so vonstattengehen wie in meinem Buch. Sie werden
     kein Getier rückwärtslaufen sehen. Ich fürchte, ich habe da poetisch gesündigt. Die Auswirkungen einer Zeitreise sind weit
     weniger interessant. Sobald Sie den Hebel nach unten gedrückt haben, werden Sie ein Knistern von Energie wahrnehmen, auf das
     unmittelbar ein blendender Lichtblitz folgt. Das wird alles sein. Danach befinden Sie sich schon im Jahr 1888.   Möglicherweise verspüren Sie nach dem Zeitsprung eine gewisse Übelkeit oder Kopfschmerzen; aber ich hoffe, dass das Ihre Treffsicherheit
     nicht beeinträchtigt», schloss er ironisch.
    |232| «Ich werde daran denken», murmelte Andrew, den allmählich die blanke Angst ergriff.
    Wells nickte zufrieden. Anscheinend hatte er ihm keine weiteren Ratschläge zu geben, da er sich nun an

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