Die Landkarte des Himmels

Titel: Die Landkarte des Himmels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Félix J. Palma

Vom Netzwerk:

bin ich ein Mann, der seine Ehefrau zu retten versucht.»
    «Das verstehe ich, Hauptmann», sagte ich, allmählich die Geduld darüber verlierend, dass er sich so sperrte, «aber ich bin sicher, dass sowohl Claire als auch meine Gemahlin im Keller der Villa meines Onkels in Sicherheit sind.»
    «Ich fürchte, Mister Wells hat recht, Mister Winslow», unterbrach mich Murray ungeduldig. «Ich glaube nicht, dass uns der Hauptmann in einer Situation wie dieser von großem Nutzen sein wird. Das hier dürfte ihn bei weitem überfordern.» Und mit einem belustigten Lächeln zum Hauptmann gewandt: «Ich möchte Sie nicht beleidigen, wenn wir trotz Ihres gefeierten Sieges über die Maschinenmenschen bezweifeln, dass sie auch mit den Marsmenschen fertigwerden können, Hauptmann. Aber diese Kampfmaschinen sind doch um einiges mächtiger als eine Handvoll Hampelmänner mit Dampfmotörchen.»
    «Natürlich beleidigen Sie mich nicht, Mister Murray», entgegnete Shackleton, nun auch mit breitem Grinsen. «Immerhin habe ich die Menschheit gerettet, während Sie ihr bislang nur das Geld aus der Tasche gezogen haben.»
    Shackletons Antwort ließ Murray eine Sekunde lang erblassen, dann brach er in Gelächter aus.
    «Ich habe sie träumen lassen, Hauptmann, träumen! Und Träume haben ihren Preis, das weiß jeder. Ich weiß nicht, wie Sie in unsere Zeit gereist sind; doch lassen Sie sich gesagt sein, die Bürger unseres großartigen Landes durch die vierte Dimension in die Zukunft zu transportieren, kostet Geld. Aber verschieben wir unser nettes Gespräch doch lieber auf später, Hauptmann, wir wollen die anderen nicht langweilen.» Dann, immer noch lächelnd, legte er einen Arm um Shackletons Schulter und drehte den Hauptmann sanft so, dass er einen guten Rundumblick hatte. «Wie Sie sehen, sind die Marsleute überall. Was würde ein Held wie Sie tun, um Queen’s Gate zu erreichen, ohne einer der Kampfmaschinen in die Quere zu kommen?»
    Tieftraurig schaute Shackleton zu, wie die Kampfmaschinen fast gelangweilt die Stadt dem Erdboden gleichmachten. Sie wirkten wie Kinder, die keine Lust mehr haben, mit ihren Bauklötzen und Puppenhäusern zu spielen, und sie nun mutwillig zerstören.
    «Ich habe es geahnt», sagte Murray, als Shackleton schwieg. «Das ist sogar für Sie zu viel.» Enttäuscht die Achseln zuckend, wandte er sich ab. Nur ich konnte das Lächeln sehen, das in diesem Augenblick um den Mund des Hauptmanns spielte. «Wie Sie sehen», verkündete Murray gerade in einem Ton gespielter Untröstlichkeit, «gibt es Situationen, die sogar die größten Helden überfordern. Aber ich bin sicher, dass wir …»
    «Sie sollten mehr Zutrauen zu Helden haben, die Sie immerhin reich gemacht haben, Mister Murray», unterbrach ihn der Hauptmann, immer noch das Tun der Invasoren im Blick. «Wir werden Queen’s Gate erreichen, und zwar unter den Kampfmaschinen hindurch.»
    «Unter ihnen hindurch?», rief Murray verwundert. «Was zum Teufel meinen Sie damit?»
    «Durch die Kanalisation», antwortete Shackleton, ohne ihn eines Blickes zu würdigen.
    «Die Kanalisation? Haben Sie den Verstand verloren, Hauptmann? Sie wollen doch wohl nicht die Damen durch Londons stinkende Abwässerkanäle schicken!», rief Murray empört und deutete auf Emma und Jane. «Ich werde auf keinen Fall zulassen, dass Emma …»
    «Oh, Hauptmann, hören Sie nicht auf ihn», mischte sich die junge Amerikanerin ein und trat einen Schritt vor, wobei sie ihre Hand sanft auf Murrays Unterarm legte. «Mister Murray hat die irritierende Angewohnheit, zu bestimmen, wohin ich gehen soll und wohin nicht; nur hat er noch nicht bemerkt, dass ich immer das Gegenteil von dem tue, was er mir rät.»
    «Aber Emma …», protestierte Murray.
    «Ehrlich, Gilliam, ich glaube, Sie sollten Hauptmann Shackleton seinen Plan vortragen lassen», unterbrach ihn die junge Dame mit der reizendsten aller Liebenswürdigkeiten.
    Meine Bewunderung für den Unternehmer wuchs. Wenn diese hübsche Lady seine Geliebte war, dachte ich, hatte der dicke Angeber, den ich vor zwei Jahren kennengelernt hatte, seinen Tod und die nachfolgende Auferstehung gut genutzt.
    Murray grunzte entrüstet, bedeutete dem Hauptmann aber, fortzufahren.
    «Das ist die sicherste Methode», sagte Shackleton zu den anderen gewandt. «Unter der Stadt zieht sich das Kanalsystem über Hunderte von Kilometern, und es ist groß genug, dass ein Mensch bequem hindurchlaufen kann. Dann sind da noch überall Keller, unterirdische