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Die Landkarte des Himmels

Die Landkarte des Himmels

Titel: Die Landkarte des Himmels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Félix J. Palma
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Lagerräume, die U-Bahn-Schächte … Das ist eine eigene Welt da unten.»
    «Wie kommt es, dass Sie sich da so gut auskennen, Hauptmann?», fragte ich neugierig.
    Meine Frage traf ihn so unvorbereitet, dass er kurz zögerte.
    «Äh …, weil wir uns in der Zukunft dort versteckt halten», antwortete er dann.
    «Tatsächlich? Sie haben sich in den Kloaken versteckt?», fragte Murray und lächelte süffisant. «Unglaublich diese Qualität der britischen Kanalisation. Ich hätte nie geglaubt, dass sie hundert Jahre hält.»
    Die amerikanische Lady wollte den Unternehmer gerade wieder zur Ordnung rufen, da kam ihr jemand zuvor.
    «Sie sollten dem Empire mehr Vertrauen entgegenbringen, Mister Murray.»
    Wir alle wandten uns der arroganten Stimme zu, die dem jungen Mann gehörte, den ich für einen Betrunkenen gehalten hatte, als wir auf dem Hügel angekommen waren.
    «Hauptmann Shackleton, ich bin Agent Cornelius Clayton von Scotland Yard», stellte er sich vor und berührte seine Hutkrempe. «Und soviel ich mitbekommen habe, während ich … äh, meine Kräfte sammelte, halten Sie sich für ausreichend befähigt, uns durch die Kanalisation nach Kensington zu führen?»
    Shackleton nickte so entschieden, wie nur Helden nicken können, und machte sich mit dieser Kopfbewegung zum Verantwortlichen unserer Gruppe. Dann trat ich jedoch ein paar Schritte vor; einigermaßen ungehalten, weil dieser seltsame Mensch, der sich in einer Lage wie der unseren bedenkenlos an einen Baum setzte, um ein Schläfchen zu halten, mich nicht einmal zur Kenntnis genommen hatte. Ich räusperte mich laut, um ihn auf mich aufmerksam zu machen, und streckte ihm die Hand hin.
    «Agent Clayton, in bin Charles Winslow, der …», ich hielt unentschlossen inne. «Der Entdecker von Hauptmann Shackleton», wie ich hatte sagen wollen, kam mir mit einem Mal etwas vermessen vor, sodass ich fortfuhr: «Ich bin so etwas wie der treue Schildknappe des Hauptmanns.»
    «Erfreut, Mister Winslow», sagte der Agent, drückte mir kurz die Hand und wandte sich wieder an Shackleton. «Also, Hauptmann, wie sagten Sie …?»
    «Nun, vor einer Weile, als Sie noch … schliefen», unterbrach ich ihn noch einmal, weil mich seine Unhöflichkeit wirklich empörte, «sagte
ich
, dass es mir keine gute Idee zu sein scheint, London zu verlassen, denn …»
    «Mister Winslow», fiel Wells mir ins Wort, «mittlerweile ist doch klar, dass wir alle so schnell wie möglich aus London rauswollen. Es geht jetzt nur noch darum, wie wir vorher am besten …»
    «Genau so ist es», unterbrach ihn Murray und fügte mit finsterer Miene hinzu: «Aber
ich
möchte klarstellen, dass die absurde Form der Flucht, die der Hauptmann uns vorschlägt, nämlich wie Ratten durch die Abwasserkanäle zu kriechen, für mich nicht akzeptabel ist.»
    «Wenn Sie einen besseren Vorschlag haben, Mr. Murray, nur zu, lassen Sie hören», antwortete ihm der Hauptmann mit blitzenden Augen. «Aber lassen Sie sich gesagt sein, dass bei jeder Katastrophe die Ratten als Erste einen Weg finden, sich in Sicherheit zu bringen.»
    Im nächsten Augenblick redeten alle gleichzeitig und verzettelten sich in eine hitzige Diskussion, bis Agent Clayton plötzlich seine herrische Stimme erhob.
    «Gentlemen, bitte!», rief er. «Ich glaube wirklich, wir sollten Hauptmann Shackleton vertrauen und uns unverzüglich auf den von ihm vorgeschlagenen Fluchtweg durch die Kanalisation begeben. Und ich darf Ihnen versichern, dass mein Glaube sich weder auf die hervorragenden Referenzen des Hauptmanns stützt noch darauf, dass keiner eine bessere Idee hat. Ich glaube es einfach deswegen, weil ich mir nicht vorstellen kann, dass die zwei Kampfmaschinen, die da zu uns heraufkommen, ein Picknick mit uns veranstalten wollen.»
    Voller Entsetzen richteten wir unsere Blicke auf die beiden Kampfmaschinen, die wie gelangweilte Spaziergänger durch den Regent’s Park stelzten und genau auf uns zukamen.

XXXIV
    Während Charles sich von den Mühen des Tages erholte, betrachtete er von seiner Zelle aus den Sonnenuntergang, der ebenso befremdlich und beunruhigend war wie alle, die seit einigen Monaten das traditionelle irdische Abendrot ersetzten. Wenn es ein Zeichen dafür gab, dass den Menschen die Heimat abhandengekommen war, dachte er, dann war dies zweifellos die Tatsache, dass die Sonne nicht mehr unterging wie in seinen Kindertagen. Verächtlich blickte er auf das klägliche Grün und Dunkelblau, das sich um die Sonne klumpte und

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