Die Landkarte des Himmels
gleichgültig geworden und hatten sie schließlich akzeptiert, als hätte es sie immer schon gegeben, als hätte der Himmel vom Anbeginn der Zeiten an die Farbe alten Kupfers gehabt. Eigentlich hatten sie seit Monaten gar keine langen Diskussionen mehr geführt.
Sich so gut es ging gegen den lästigen Kristallregen schützend, standen sie nun auf und gesellten sich zu den anderen Gefangenen, die die Marsmenschen zur täglichen Arbeit einzuteilen begannen. Charles wurde nach oben auf die Pyramide geschickt, und wie immer war er am Ende des Tages restlos erschöpft, jedoch auch dankbar für die ununterbrochene körperliche Anstrengung, die ihn nicht nur auslaugte, sondern auch am Nachdenken hinderte. Wieder in seiner Zelle, holte er sein Notizbuch hervor und schrieb an seiner Geschichte weiter, wo er am Vorabend aufgehört hatte.
Tagebuch von Charles Winslow
14 . Februar 1900
Nachdem es nun unmöglich geworden war, Verstärkung aus der Zukunft zu holen, verfiel Shackleton wieder in seine pessimistische Litanei: Er sei kein Held, ohne Waffen und ohne seine Männer könne er nichts unternehmen. Genauso oft musste ich ihn daran erinnern, dass er noch vor wenigen Minuten ohne jede Hilfe eine Kampfmaschine besiegt hatte, ganz allein mit der Kraft seines strategischen Denkens. Was sollte es außerdem für ein Problem sein, nicht ins Jahr 2000 reisen zu können? Hatte der Hauptmann nicht auch in der Zukunft sein tapferes Heer aus gejagten und erschöpften Überlebenden rekrutiert? Dasselbe würden wir jetzt eben auch tun. Wir würden in den Ruinen nach Überlebenden suchen, die fähigsten Männer versammeln, die er nach seinem Ebenbild formen konnte, bis wir eine Armee von Elitekämpfern um uns geschart hatten, die nur der Sache der Freiheit verpflichtet waren. Ich zweifelte keine Sekunde daran, dass sie, sobald sie erführen, wer Shackleton war, ihm bis zu den Pforten der Hölle folgen würden, wie seine Männer es in der Zukunft ebenfalls getan hatten.
Schließlich konnte ich ihn seiner Niedergeschlagenheit so weit entreißen, dass er wieder Kampfeswillen zeigte. Er machte jedoch zur Bedingung, dass wir vorher nach Queen’s Gate zurückfuhren, um festzustellen, ob unsere Frauen und Freunde noch wohlbehalten und in Sicherheit waren. Als ich sah, wie er sich um Claire sorgte, begriff ich, warum die großen Helden fast immer ungebunden sind: Die Liebe würde sie verwundbar machen. Ich wusste nicht viel über das Privatleben des Hauptmanns Shackleton im Jahr 2000 ; nichts jedenfalls, was über das hinausging, was Mr. Murray uns Zeitreisenden erzählt hatte, bevor wir die
Cronotilus
bestiegen. Sehr wahrscheinlich war der Hauptmann in seiner Zeit also ein einsamer, verschlossener Mensch gewesen, mit einem Herzen voller Hass und Zerstörungswut. Allerdings dürfte er auch ein Mann gewesen sein, dem die Liebe verschlossen blieb, der bei der gewaltigen Aufgabe, die die Verteidigung der Menschheit darstellte, keine Gefährtin an seiner Seite brauchen konnte. Doch der Shackleton, den ich jetzt vor mir hatte, der Shackleton, der in unserer Zeit lebte, war ein verliebter Mann, dem Claire offenbar über alles ging, sogar über das Schicksal der Menschheit. Ich stieß einen resignierten Seufzer aus. Es war klar, dass ich ihn nicht bitten konnte, seine Frau einfach mal eine Weile zu vergessen, wie ich es am liebsten getan hätte. Und schon gar nicht konnte ich ihm sagen, dass es einem Helden eigentlich verboten sein müsste, sich zu verlieben, solange er im Dienst war. Also willigte ich ein, so schnell wie möglich zum Haus meines Cousins zu fahren, konnte den Hauptmann jedoch davon überzeugen, dass wir vorher einen Aussichtspunkt ansteuern sollten, um uns einen Überblick über den Stand der Invasion und der Kämpfe in London zu verschaffen, was uns helfen würde, sowohl unbeschadet nach Queen’s Gate zu kommen als auch später unsere weiteren Schritte zu planen.
Wir beschlossen, über die Euston Road nach Primrose Hill zu fahren, jener natürlichen Anhöhe mit dem weiten Blick über die Stadt, den die Londoner in friedlichen Zeiten an Sonntagen gern genossen. Eine bessere Entscheidung hätten wir gar nicht treffen können, denn dort stießen wir auf eine Gruppe von Personen, die die furchtbare Nacht ebenfalls überlebt hatten. Nach dem, was sie hatten durchmachen und später hier oben vom Hügel mit ansehen müssen, waren sie so niedergeschlagen, dass sie dringend einen Helden brauchten. Und ich hatte den besten aller Helden
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