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Die Landkarte des Himmels

Die Landkarte des Himmels

Titel: Die Landkarte des Himmels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Félix J. Palma
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sie wie einen giftigen Tumor aussehen ließ, anstatt sie in warmem Gelb und Orange erstrahlen zu lassen. Hinter dem kupferfarbenen Schleier, der sich über den Himmel zog, erinnerte sie ihn an eine dieser abgegriffenen, schmierigen Münzen, die Bettler über den Tresen schoben, um ihren Schnaps zu kriegen.
    Vom Flughafen am Rande des Lagers sah Charles jetzt drei Marsflugkörper aufsteigen: drei auf Hochglanz polierte fliegende Untertassen, die mit musikalischem Summen mehrere Meter senkrecht in die Höhe stiegen und sich sekundenlang gegen die Sonne abhoben, als würden sie für eine Daguerreotypie posieren, dann mit unvorstellbarer Geschwindigkeit durch die schwarzgrünen Wasser jenes trüben Himmelsozeans pflügten, bis sie sich in der endlosen Finsternis des Alls verloren. Diese Flugmaschinen zeigten deutlicher als alles den Abgrund, der zwischen der Technologie der Invasoren und der ihrer Gefangenen klaffte, die es gerade einmal geschafft hatten, bemannte Ballons am Himmel aufsteigen zu lassen. So gleichgültig, wie Charles ihnen jetzt nachschaute, hätte niemand geglaubt, dass Start und Landung dieser glänzenden Raumgleiter für die Gefangenen anfangs ein ebenso fesselndes wie grauenerregendes Schauspiel gewesen war.
    Die Flugmaschinen brachten auch die Marsingenieure mit, die offenbar nicht die Fähigkeit besaßen, menschliche Gestalt anzunehmen, und sich in ihrem echten Aussehen durch das Lager bewegten. Als er sie zum ersten Mal sah, waren sie Charles wunderschön erschienen, wie Zwitterwesen zwischen Mensch und Reiher, seinem Lieblingsvogel schon seit Kindertagen. Natürlich hatte niemand ihnen etwas erklärt; aber schnell war deutlich geworden, dass es Aufgabe der Ingenieure war, die Pyramide zu entwerfen und sie dann nicht nur in diesem Lager, sondern vermutlich auf dem gesamten Erdenrund hochziehen zu lassen. Die meiste Zeit flatterten sie elegant umher, doch faszinierender war es, sie auf ihren schlanken Stelzbeinen dahinschreiten zu sehen, die so viele Gelenke aufwiesen, dass diese Wesen die merkwürdigsten und unterschiedlichsten Haltungen einnehmen konnten, allesamt von einer unglaublichen Biegsamkeit. Charles hatte versucht, in seinem Tagebuch die Schönheit ihrer Bewegungen zu beschreiben und sie mit gläsernen Libellen verglichen oder sich andere, ebenso zerbrechlich schöne Beispiele ausgedacht, schließlich jedoch aufgeben müssen. Der überwältigende Zauber der Ingenieure war unmöglich in Worte zu fassen. Jeder Versuch war zum Scheitern verurteilt. Anfangs waren sie ununterbrochen bei ihnen im Lager gewesen, mal hierhin, mal dorthin flatternd, erteilten sie die notwendigen Instruktionen zur Montage der Luftumwandlungsmaschine. Danach kamen sie nur noch gelegentlich, etwa alle drei oder vier Monate, um den Bau der Pyramide zu inspizieren. In den Tagen nach ihrem Fortgehen überkam Charles jedes Mal eine absurde Nostalgie wie am Ende eines Sommers, für die er keine Erklärung hatte. Er ahnte jedoch, dass sie etwas mit der Tröstlichkeit zu tun hatte, die die ungewöhnliche Schönheit dieser Wesen ihm in einer Welt spendete, in der Schönheit zu einem raren Luxusgut geworden war.
    Aber Charles wusste auch, dass die Ingenieure nicht so waren, wie er sie sah. Als sie zum ersten Mal aufgetaucht waren, hatten er und seine Mitgefangenen sich über ihr Aussehen ausgetauscht und verblüfft feststellen müssen, dass jeder ein anderes Bild von ihnen hatte. Jeder sah die Ingenieure auf seine ganz eigene Weise, und wenn die anderen sie beschrieben, glaubte er, sie würden ihn auf den Arm nehmen wollen. Diese Unstimmigkeiten hatten am Ende sogar zu Handgreiflichkeiten geführt, denen sich Charles jedoch rechtzeitig entzogen hatte.
    In seiner Zelle hatte er lange über dieses Phänomen nachgedacht und war zu einem Schluss gekommen, den er gern mit einem intelligenten Menschen wie Wells diskutiert hätte, um herauszufinden, ob es eine absurde Annahme war. Leider war Intelligenz in seiner näheren Umgebung eher dünn gesät.
    Der Schluss, zu dem Charles in der Einsamkeit seiner Zelle gekommen war, wird Ihnen vermutlich bekannt vorkommen: Die Außerirdischen mussten so anders als alles sein, was der Mensch kannte, dass dieser nicht wusste, wie er sie sehen sollte. Dass sich das lächerlich anhörte, war Charles bewusst. Aber es war logisch, dass sein Blick, der etwas Unbeschreiblichem begegnete, sich verzweifelt bemühte, diesem Unbeschreiblichen ein Aussehen zuzuordnen, und sei es nur ein annäherndes. Das

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