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Die Landkarte des Himmels

Die Landkarte des Himmels

Titel: Die Landkarte des Himmels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Félix J. Palma
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verbarg.
    «Wie schön, wie schön», sagte er und schob Emma ein wenig beiseite. «Eure Eltern sind also hier in der Nähe. Könnt ihr uns zu ihnen bringen?»
    Die Kinder schauten sich an.
    «Können wir», sagte Curly.
    Clayton drehte sich halb zu uns um und hob erfreut die Augenbrauen.
    «Sie können.»
    Zufrieden grinsend wandte er sich wieder den Kindern zu, und alle schauten sich eine Weile wortlos an.
    «Also, worauf warten wir?», sagte Clayton schließlich ohne Ungeduld in der Stimme, eher mit einer theatralischen Begeisterung, als könne es für Kinder nichts Sensationelleres geben, als fremde Erwachsene zu ihren Eltern zu bringen.
    Mit einer etwas beunruhigenden Ausdrücklichkeit wechselten die Kinder untereinander Blicke und setzten sich dann auf eine unmerkliche Geste dieses Curly hin in Bewegung. In einem unordentlichen Gänsemarsch bogen sie in einen der Seitentunnel ab, und Curly forderte uns mit einer Kopfbewegung – die Clayton für uns wie ein Spiegelbild weitergab – auf, ihnen zu folgen. Das taten wir und gingen mehrere Minuten hinter den Kindern her, die fünf oder sechs Meter vor uns hüpften, tanzten und Kinderlieder sangen, als wäre es ihnen viel zu langweilig, uns einfach nur schweigend den Weg zu zeigen. Ihre hellen Stimmchen hallten von den Wänden wider und bildeten einen ebenso verwirrenden wie beruhigenden Geräuschmantel, der auf wundersame Weise die Welt erstehen ließ, aus welcher die Marsmenschen uns vertrieben hatten. Eine Welt, von der wir nie geglaubt hatten, dass irgendjemand im weiten All sie uns so sehr neiden könnte, dass er dafür eine Armee durch Raum und Zeit schickte, um sie uns zu entreißen. Ich versuchte mir Mut zu machen, indem ich mir sagte, dass noch nicht alles verloren war, dass viele von uns sich noch in den Kloaken verborgen hielten und bereit waren, Widerstand zu leisten, vielleicht auf einen Mann warteten, der ihnen das Kämpfen beibrachte. Ich warf einen Seitenblick auf Shackleton, der mit finsterer Miene neben mir ging.
    «Ist das nicht aufregend, Hauptmann?», fragte ich in der Hoffnung, auch ihn aufmuntern zu können. «Die Leute verstecken sich in der Kanalisation, genau wie Sie es getan haben … es in der Zukunft tun werden, meine ich.»
    Shackleton nickte gleichgültig, gab jedoch keine Antwort, und ich drang nicht weiter in ihn. Wir gingen schweigend weiter, bis die Kinder uns mit einem Mal vor dem Eingang eines schmalen Seitentunnels anhielten. Zu unserem Missvergnügen gingen sie hinein, und uns blieb nichts anderes übrig, als ihnen zu folgen, gebeugt, damit wir uns nicht die Köpfe anstießen. Es schien ein alter Tunnel aus der Zeit der ersten Kanalisation zu sein, der nicht mehr benutzt wurde und der ein ums andere Mal im rechten Winkel abbog, sodass wir schon bald nicht mehr wussten, in welche Richtung wir gingen. Als wir schon glaubten, er würde niemals enden, erreichten wir einen riesigen Lagerraum, der mit allem möglichen Baumaterial vollgestellt war. Ganz am Ende, halb hinter Ballen und Kisten verborgen, führte eine Leiter nach unten in die Dunkelheit. Die Kinder stiegen ohne die geringsten Anzeichen von Furcht hinunter, lachten im Gegenteil und scherzten.
    «Wo zum Teufel führen die uns hin?», fragte ich, erschöpft vom Gehen, und außerdem kam ich mir unerträglich schmutzig und übelriechend vor.
    Darauf hatte niemand eine Antwort. Kurz darauf betraten wir ein Kellergewölbe, in dem eine feuchte Kälte in den Ecken kauerte wie Drachen in ihren Höhlen. Erleuchtet wurde es von an den Mauern und Stützpfeilern angebrachten Fackeln, deren Licht das Dunkel jedoch kaum zu durchdringen vermochte, sodass wir schlecht erkennen konnten, wie groß der Raum war.
    «Wir sind da», sagte Curly.
    Verstört betrachteten wir das an eine Krypta erinnernde Gewölbe, das scheinbar vollkommen leer war.
    «Aber … eure Eltern … wo sind die?», fragte ich Curly.
    «Hier», sagte er und zeigte mit der Hand im Kreis herum.
    «Aber hier ist niemand, Curly, nur wir …», wandte Emma ein, deren Blick der Handbewegung des Jungen gefolgt war.
    «Sie sind hier», sagte Curly störrisch. «Sie sind schon lange hier …»
    Verunsichert von Curlys Worten schauten wir uns um und versuchten, in dem dämmrigen Licht etwas zu erkennen; aber wir schienen wirklich allein zu sein. Gerade wollte ich Curly bitten, sich etwas näher zu erklären, als Wells und Clayton, wie von einer gemeinsamen Vorahnung getrieben, zwei Fackeln vom nächsten Pfeiler rissen und

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