Die Landkarte des Himmels
grünliche Glanz ausging, der den ganzen Saal in dieses unwirkliche Licht tauchte. Und in diesen Tanks trieben über- und untereinander sich träge bewegende Körper. Hunderte von kleinen, glatten Kinderkörpern, die Charles’ Miene zu einer Grimasse des Grauens gefrieren ließen. Starr vor Entsetzen betrachtete er den Schwarm von Säuglingen in diesen teuflischen Aquarien, eingelegt wie Früchte in grünlichem Gelee. Alle schienen noch ihre Nabelschnur zu haben, doch bei näherem Hinschauen entdeckte Charles, dass der Strang, der aus ihren Bauchnabeln kam, nicht organisch war: Es handelte sich um glitzernde Schläuche aus einem unerfindlichen Material, die vom Bauchnabel zu einem der abflussartigen Löcher führten, die sich am Boden der Aquarien befanden. Die Säuglingskörper waren nur makabre Bojen, festgemacht am Boden eines gelatinösen Ozeans. Ihre Ärmchen und Beinchen bewegten sich schwerfällig, als liefen sie im Traum. Am entsetzlichsten aber waren ihre Köpfe anzusehen. Sie waren offen und gaben den Blick in die zarten Gehirne frei, denen ein Gewirr feiner Fäden entspross, das die Köpfe umwogte wie vom Wind gezaustes Haar. Von den Enden dieser züngelnden Fäden lösten sich in regelmäßigen Abständen gelblich goldene Funken, die in der schrecklichen Brühe nach oben stiegen und dort wie Sternschnuppen in der Dunkelheit verglühten. Die Funken stoben so unablässig hoch, dass es aussah, als würde ein wirbelnder Schwarm monströser Glühwürmchen den Schlaf dieser Kinder bewachen.
Das ungeheuerliche Schauspiel bewirkte, dass sich die Gefangenen allesamt übergaben und dabei ungerührt von ihren Wächtern beobachtet wurden, die geduldig warteten – wie jedes Mal vermutlich, wenn sie eine neue Gruppe nach unten führten –, bis sie ihre Mägen entleert hatten. Als sie endlich aufhörten, sich auf den Boden zu erbrechen, bellten die Marswächter ihnen die Arbeitsanweisungen zu. Die Arbeit bestand darin, aus einem nahen Lagerraum riesige Tonnen in den Hauptsaal zu rollen und sie dort an eine Maschine anzuschließen, die mit dem Kinderaquarium verbunden war und offenbar dazu diente, die Flüssigkeit darin zu erneuern. Die Gefangenen arbeiteten schweigend, aufmerksam beobachtet von den Wächtern und die Stille höchstens einmal mit einem Jammerlaut oder entsetzten Stöhnen unterbrechend. Charles starrte bei jeder sich bietenden Gelegenheit das unheimliche Schaufenster an und suchte nach einer Erklärung für das, was er da sah. Er hatte das Gefühl, verstehen zu müssen, was das Ganze zu bedeuten hatte, und während er wie ein Automat Tonnen von einem Ort zum anderen rollte, versuchte er Schlüsse daraus zu ziehen. Allem Anschein nach wurden die im Frauenlager gezeugten Kinder nicht aufgezogen, um eines Tages die Reihen der Arbeitssklaven aufzufüllen, wie er bisher angenommen hatte. Es war jetzt ganz offensichtlich, dass die Pyramide viel eher fertiggestellt sein würde, als die Kinder groß genug wären, um Arbeiten zu verrichten, wie er und seine Mitgefangenen sie ausführten. Nein, sagte er sich, die Marsmenschen brauchten die Kinder, um die über den ganzen Erdball verstreuten Pyramiden zu betreiben. Oder wie anders wäre dieses entsetzliche Schauspiel zu deuten? Es war ganz offensichtlich, dass den Säuglingen durch die in ihrem Gehirn verankerten Fäden irgendetwas entzogen wurde; etwas, das goldig glänzend durch die Nährlösung nach oben stieg. Waren das ihre Seelen? Funktionierte die Marsmaschine mit Kinderseelen? Charles wusste nicht mehr, was er denken sollte; aber dass den Kleinen etwas entnommen wurde, war deutlich zu sehen. Was immer dies aber war; vielleicht benutzten sie es als eine Art Brennmaterial, das an anderer Stelle verarbeitet wurde und dann als Treibstoff für die Pyramidenmaschine diente. Ihm fiel der Roman von Mary Shelley ein, in dem Dr. Frankenstein einem aus Leichenteilen zusammengenähten Körper Leben einhauchte, indem er die elektrische Energie eines Blitzes hineinleitete. Enthielt der menschliche Körper etwas Ähnliches, etwas, das man ihm entnehmen und dazu verwenden konnte, einer anderen Sache Leben einzuhauchen? Es sah tatsächlich so aus, als könnte seine Seele, diese ganze Abstraktion, die aus seinem Denken, seinen Träumen, seinem Willen und allem bestand, was der Tod definitiv mit sich nahm, von den Marsmenschen in Treibstoff umgewandelt werden.
Sein Gedankengang wurde von einem dumpfen Geräusch unterbrochen, und als er sich umschaute, sah er, dass der
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