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Die Landkarte des Himmels

Die Landkarte des Himmels

Titel: Die Landkarte des Himmels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Félix J. Palma
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angestarrt hatten, traten Emma und Jane behutsam wie zwei erfahrene Kindermädchen vor, gingen einige Schritte auf sie zu und hockten sich vor ihnen hin, um auf Augenhöhe mit ihnen zu sein. Die Kinder hatten sich zu einer Gruppe zusammengerottet und beobachteten sie misstrauisch.
    «Hallo, Kinder», sagte Jane und lächelte sie freundlich an. «Ich heiße Jane, und das ist meine Freundin Emma …»
    «Hallo!», flötete Emma. «Habt keine Angst, wir tun euch nichts. Wir wollten nur hallo sagen, stimmt’s?», fragte sie zu Jane gewandt, die – immer lächelnd – eifrig nickte.
    Die Kinder standen regungslos am Rande des Kanals und betrachteten die beiden, ohne einmal zu blinzeln. Schließlich brach einer der Jungen die Starre, indem er sich heftig am Kopf kratzte, wobei er den Reifen losließ, der langsam zur Seite kippte und dann in einem glitzernden Wirbel eiernd immer flachere Wellen schlug, bis er neben den Füßen des Jungen mit einem blechernen Seufzen zur Ruhe kam. Emma ließ sich die Gelegenheit nicht entgehen und griff nach ihm, bestaunte ihn in gespielter Bewunderung.
    «Das ist aber ein schöner Reifen», sagte sie. «Ich hatte so einen aus Holz, als ich klein war; aber dieser ist aus … Eisen?»
    «Das ist ein Fassreifen, Miss. Die rollen viel besser als die aus Holz und halten auch viel länger», antwortete einer, der aussah, als ob er von den Kindern der Älteste wäre; ein spindeldürrer Bursche mit stubbeligen Locken, die ihm in die Augen hingen.
    «Tatsächlich?», zeigte sich Emma interessiert. «Das habe ich nicht gewusst. Woher hast du ihn, äh … Wie ist dein Name, junger Mann?»
    «Curly», murmelte der Junge. Es klang, als würde er die Zähne dabei zusammenbeißen.
    «Curtis?», fragte Emma in gespieltem Nichtverstehen, was zwei der Mädchen zum Kichern brachte.
    «Curly. Ich heiße Curly … wegen meiner Haare, Sie wissen schon», antwortete der Junge und fuhr sich mit den Händen durch die Locken. Dann streckte er Emma in einer staunenswert erwachsenen Geste die Hand hin.
    «Freut mich, dich kennenzulernen, Curly», sagte Emma und ergriff sie.
    «Angenehm, Curly», ergänzte Jane.
    Die übrigen Kinder drängten sich hinter dem Großen aneinander und beobachteten sie misstrauisch.
    «Ich heiße Hobo», sagte plötzlich der Kleinste von ihnen; eine Art blonder Zaunkönig, den eines der größeren Mädchen an der Hand hielt.
    Der Rest von uns, der nicht so sehr wegen der Enge auf dem Gehstreifen als wegen der blanken Unerfahrenheit im Umgang mit Kindern zusammengeknäuelt hinter den Damen stand, grinste den Kleinen einmütig an, was beruhigend wirken sollte, aber doch wohl eher Beunruhigung auslöste.
    «Und ich Mallory», sagte das Mädchen mit den Zöpfen, das Seil gesprungen hatte.
    Mallorys Beispiel folgend, begannen nun alle Kinder, sich vorzustellen, und Emma und Jane lächelten jeden freundlich an, der seinen Namen nannte. Dann stellten die Damen uns vor. Zwei der Jungen nickten gleichgültig, als sie unsere Namen hörten; nur als der Name Wells fiel, kicherten sie belustigt, was der Schriftsteller mit griesgrämiger Miene zur Kenntnis nahm. Ich nahm an, dass die Reaktion der Kinder auf den Kontrast im Äußeren von Mr. Wells und uns anderen zurückzuführen war, die wir alle größer, kräftiger und, na ja, attraktiver waren als der Schriftsteller.
    «Sehr gut», sagte Emma, als die Vorstellung beendet war, «da wir uns jetzt alle kennen und Freunde sind, sagt mir: Was macht ihr hier so ganz allein?»
    Curly machte ein erstauntes Gesicht.
    «Spielen», sagte er, als gäbe es nichts Offensichtlicheres.
    Einer der Jungen kicherte lausbübisch über die dumme Frage der fremden Dame.
    «Und eure Eltern? Sind die oben?», fragte Emma im Namen von uns allen. Curly schüttelte entschieden den Kopf.
    «Nein? Wo sind sie dann?»
    «In der Nähe», sagte der Junge nur.
    «In der Nähe? Du meinst … hier unten?»
    Curly nickte, und Emma wechselte einen überraschten Blick mit uns.
    «Hier halten sich noch mehr Leute verborgen», murmelte Murray neben mir.
    «Sieht ganz so aus», antwortete ich überwältigt.
    «Wir müssen mit ihnen Kontakt aufnehmen; sehen, wie viele es sind», flüsterte Clayton uns zu. Ihn schien die Möglichkeit zu erregen, mehr Leute um sich zu scharen, eine schlagkräftigere Gruppe zu bilden, Informationen über den Stand der Invasion auszutauschen.
    Agent Clayton löste sich von uns und trat zu den Kindern, wobei er seine Eisenhand in der Jackentasche

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