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Die Landkarte des Himmels

Die Landkarte des Himmels

Titel: Die Landkarte des Himmels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Félix J. Palma
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wählte diesen Namen, weil er Programm war; weil er an Bord nichts anderes sein wollte als unsichtbar. Deshalb hielt er sich stets im Hintergrund, vermied jede Kameraderie mit den Männern der Besatzung und benahm sich wie ein Kind im Museum: er rührte möglichst nichts an, da er fürchtete, jede unbedachte Bewegung könne den Lauf der Zeit beeinflussen und damit die künftigen Ereignisse verändern.
    Und so verließ die
Annawan
– ein Walfänger mit ruhmreicher Vergangenheit, dessen Rumpf mit einer doppelten Lage afrikanischer Eiche verstärkt worden war, um sich im Eis des Südpols behaupten zu können – den Hafen von New York mit einem Besatzungsmitglied mehr als vorgesehen; einem ebenso schmächtigen wie scheuen Matrosen, der mit einer seltsamen Unruhe den Horizont zu betrachten pflegte, als kenne er schon das schicksalhafte Ende, das sie erwartete.
    Nicht auffallen und nichts anfassen, das waren seine Prioritäten auf dieser Reise. Und daran hielt er sich, auch als er voller Überraschung entdeckte, dass sich unter dem Gesindel an Bord der Schriftsteller Edgar Allan Poe befand. Damals war Poe ein blasser Junge, der noch nicht einmal
Al Aaraaf
geschrieben hatte. Anscheinend hatte er sich auf der
Annawan
als Kanonier anheuern lassen, um aus West Point zu entkommen, und obwohl Wells nichts lieber getan hätte, als sich die langweilige Überfahrt durch anregende Gespräche mit dem Mann zu verkürzen, der mit der Zeit sein Lieblingsschriftseller werden sollte, und sich von jedem Wort und jeder Geste des Kanoniers verzaubern zu lassen, beschränkte er sich darauf, nur die nötigsten Worte mit ihm zu wechseln, denn je weniger er mit ihm sprach, umso größer war die Chance, unentdeckt zu bleiben. Denn wenn es einen in diesem rüden Männerhaufen gab, der hätte merken können, dass er, Wells, nicht in diese Zeit gehörte, dann war dies zweifellos Poe, der zukünftige Autor der Kriminalgeschichten um den Detektiv Auguste Dupin.
    Seine einzige Abwechslung bestand also darin, Rum zu trinken und sich dazu zu zwingen, über die vulgären Scherze der Kameraden zu lachen. Nachdem sie mit über einmonatiger Verspätung die Kerguelen-Inseln passiert hatten, betrachtete er voller Mitleid Kapitän MacReadys kopflose Bemühungen, sein Schiff nicht im Eis stranden zu lassen; wohl wissend, das genau dies passieren würde.
    Als der alte Walfänger schließlich im Eis festsaß, nickte Wells bestätigend wie ein Theaterdirektor, der mit der Arbeit seiner Schauspieler zufrieden ist. Die Mannschaft schien das Ereignis, das ihren Tod bedeuten konnte, mit resignierter Gelassenheit zu nehmen. Es hieß jetzt, bis zur Eisschmelze mit den vorhandenen Lebensmitteln durchzuhalten und nicht dem Wahnsinn anheimzufallen. Mehr konnte man unter den gegebenen Umständen kaum tun, obwohl Reynolds, der Leiter dieser ungewöhnlichen Expedition, dem Kapitän ununterbrochen damit in den Ohren lag, dass sie die Umgebung erkunden müssten, um den Eingang zum Erdinnern zu finden. Er war nämlich überzeugt, dass diese hohl sei. Und das, obwohl Verne seinen berühmten Roman noch gar nicht geschrieben hatte.
    Wells erwartete sich selbstverständlich nichts von dieser Sache. Er erwartete nur das, was eine Woche später – als er schon glaubte, nichts würde passieren – vom Himmel fiel. Als es so weit war, hatte er das eigenartige Gefühl, dass er es gewesen war, der dieses Spektakel als Überraschung für die Mannschaft organisiert hatte. Er sah mit der gleichen fassungslosen Miene wie seine Kameraden den Flugapparat am Himmel auftauchen und an den Bergen zerschellen, denn schließlich hatte er ihn ja noch nie fliegen sehen. Zu dem Zeitpunkt jedoch begriff er, dass alles genau so passieren würde wie es bereits passiert war; zumindest, solange er sich gebührend zurückhielt, um den Lauf der Dinge nicht zu stören. Das Auftauchen des Flugobjekts in dieser menschenleeren Einöde irritierte die Besatzung ganz gehörig, und Wells musste unwillkürlich lächeln, als einige behaupteten, es handle sich um einen Meteoriten. Schließlich wusste er genau, um was es sich handelte. Er wusste sogar, wer das Ding flog und woher es kam. Mit britischer Pünktlichkeit war der Gesandte zu ihrem Treffen im ewigen Eis erschienen.
    Aber keine Angst, ich werde Sie nicht mit einer Geschichte langweilen, die Sie ja zur Genüge kennen, obgleich es mich schon reizte, mit Ihnen zusammen die Eindrücke und Gefühle zu betrachten, die den früheren menschenscheuen und stillen

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