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Die langen Schatten der Erleuchtung

Die langen Schatten der Erleuchtung

Titel: Die langen Schatten der Erleuchtung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kirti Peter Michel , Klaus-Jürgen Leimann
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überrascht! , dachte er, hob sein Maß und stieß es spielerisch gegen das von Hanif. „Prost, alter Knabe!“ Hanif hatte Mühe, das gewaltige Glas zu halten, nahm einen Schluck und spülte seinen Mund für weitere Teile der Haxe frei.
    An den Nebentischen war man dazu übergegangen, zur Musik zu schunkeln. Hanif blickte zu Jojo, der ihm gegenüber saß und der jetzt von Jutta zur Musik hin- und hergezogen wurde. „Ganz wie Hubertus und Mathilda, Hanif?“, rief Jojo gegen die Blasmusik an, als hätte Hanif ihn gefragt, an wen ihn diese Musik und die Bewegungen erinnerten. „Was die beiden wohl jetzt machen, Hanif? Sie erleben gewiss eine andere Art von Einfachheit als wir!“
    Harald war längst schon beim zweiten Maß und zog seine Marlies auf die Tanzfläche. Das war auch für Jutta das Startzeichen, Jojo in Richtung der Kapelle zu zerren. Und zu ihrem Erstaunen folgte er ihr ohne weiteres. Er ahmte für Augenblicke Juttas Schritte und Bewegungen nach, dann drehte er sich in seiner katzenhaften Trägheit zur Musik, als hätte er nie etwas anderes gemacht.
    „Das Beste wäre, Hanif“, schrie Gary gegen die Musik an, „du kommst morgen früh zu mir. Die anderen schlafen dann noch, dann sind wir ungestört!“
    Hanif hatte Mühe, Gary zu verstehen, doch er nickte freundlich. Und Gary wollte ihm gerade die genaue Zeit sagen, als Vera breitbeinig vor ihnen stand, beide Hände auf dem Tisch abstützte und Hanif unter ihrer Schlägermütze fixierte. „Komm Hanif, wir wollen tanzen! Unterhalten könnt ihr euch später, Gary!“ So verschwand auch Hanif mit Vera im Getümmel auf der Tanzfläche. Gary blickte zu Käthchen, die am Kopfende des Tisches saß, sich zur Bühne gedreht hatte und sich wie ein träge ausschlagendes Pendel vergnügt zur Musik wiegte.
    Harald war jetzt bei der dritten Maß angelangt, als er auf die Bühne stürmte und versuchte, die Kapelle zu dirigieren. Doch die Saalordner hatten Erfahrung mit der Wirkung des Bieres und fingen Harald ab, bevor er noch den Taktstock erheben konnte. Sie nahmen ihn wie ein verirrtes Kind in die Mitte und geleiteten ihn an seinen Platz zurück, wo es ihn jedoch nicht lange hielt. Er brannte an beiden Enden wie ein Abhängiger nach der Verabreichung seiner Medikamentendosis in der Suchtambulanz. Seine Frisur hatte sich endgültig von der ihr auferlegten Struktur verabschiedet und gab nun große Teile seiner kahlen Schädeldecke preis.
    Bei Jutta forderte das Bier sein Recht. Sie kam gerade von der Toilette zurück und musste blass vor Ärger mit ansehen, wie Jojo Marlies zur Tanzfläche führte. Und ehe sie es verhindern konnte, hatte Harald, völlig enthemmt wie ein bierseliger Satyr, nach ihr gegriffen und sie auf die Tanzdiele gezogen.
    Hanif gefiel das Tanzen mit Vera so gut, dass er seiner Haxe und seinem Maß Bier nicht länger nachtrauerte und mit seinen Cowboystiefeln vergnügt an ihrer Seite steppte. Und auch Vera ließ sämtliche kritischen Vorbehalte gegenüber sämtlichen Männern sämtlicher Altersgruppen vorübergehend ruhen und drehte sich ausgelassen an der Hand von Hanif im Kreise.
    Es war Käthchen, die daran erinnerte, dass es bald Zeit für das Feuerwerk sei. Man trank aus, und Vera zahlte die Zeche aus der Haushaltskasse mit einem großzügigen Trinkgeld an die Kellnerin im Dirndl. Dann verließen sie das Festzelt, gerade früh genug, um die ersten Raketen in den Himmel steigen zu sehen. Harald schwankte schon bedenklich und suchte Halt an Käthchens Laufwagen. Als das Feuerwerk nach einer halben Stunde mit einer riesigen Blume am nachtschwarzen Himmel und einem gewaltigen Knall endgültig verglühte, machten sie sich auf den Heimweg. An erster Stelle Harald, der Käthchens Laufwagen in seinem Zustand nicht mehr missen wollte und wie mit einem Schneepflug vorneweg fuhr und singend grölte: „Nie wieder zweite Liga!“ Ihm folgten Jojo und Hanif, die Käthchen in ihre Mitte genommen hatten. Gemeinsam schritten sie langsam und majestätisch dahin, als ginge es, sie zu ihrer Krönung zu geleiten. Dann kamen Gary und Marlies, und den Abschluss der Prozession bildeten Vera und Jutta, wobei Vera ihre Fahne wie ein Landsknecht seine Hellebarde nach der Schlacht über der Schulter trug.
    Die Prozession geriet unterwegs nur einmal für wenige Momente ins Stocken, als Harald sich beim Überqueren der Straße mit dem Laufwagen zwischen zwei parkenden Mercedes der S-Klasse an den Fahrertüren ein wenig verkeilte. „Ruiniere mir nicht mein

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