Die langen Schatten der Erleuchtung
bekam. Kurz darauf sah man die beiden bedächtig wie militärische Späher in Feindesland mit dem schwer bepackten Laufwagen über die Terrasse durch den Garten davonrollen. Damit hatte das Heimspiel von Pauli für die WG offiziell begonnen.
Die übrigen gaben dieser militärischen Vorhut mehr als eine halbe Stunde Vorsprung, ehe sie sich auch auf den Weg machten. Jutta hatte noch für Jojo und Hanif zwei Pudelmützen und Schals von Pauli aufgetrieben. Vera nahm ihre große Flagge mit dem Totenkopf wild schwenkend in beide Hände und führte die Gruppe aus dem Schanzenviertel in Richtung des fünfhundert Meter entfernten Stadions. Bei der Sparkasse vor dem Geldautomaten machte der Trupp noch einmal Halt. Strahlend kam Hanif mit mehreren Geldscheinen zurück. „Wenn es schon keine Felder hier gibt“, meinte er, „dann sind diese Automaten ein guter Ersatz! Ich bewundere die Weisheit dieser Technik!“
Sie hatten einen ausgezeichneten Tribünenplatz. Das Wetter war sonnig und warm, und es lag eine Spannung in der Luft, wie Jojo und Hanif es von den Witwenverbrennungen her kannten. Es machte ihnen große Mühe, den Sinn des Spiels zu verstehen. Harald nahm sich der beiden fachkundig an. „Es geht eigentlich nur darum“, begann er nachsichtig, „den Ball in das andere Tor zu bringen!“
„Ja, schon“, gab Jojo zu erkennen, „ist das aber nicht sehr eintönig? Wer amüsiert sich dabei? Die Spieler oder die Zuschauer?“
„Eigentlich beide!“, meinte Harald nach einigem Nachdenken verunsichert. „Auch die Spieler haben ihre Freude daran!“
„Obwohl sie sich gegenseitig zu Boden werfen und treten?!“
„Das ist gesunde Härte“, antwortete Harald, „denn schließlich geht es hier um etwas… also, die Spieler bekommen sehr viel Geld dafür!“
„Das ist ein guter Ausgleich“, meinte Jojo erleichtert, „denn wenn man schon so verwirrt ist, so miteinander umzugehen, dann wird es diesen Bedauernswerten wenigstens ein Trost sein, dafür Geld zu bekommen! Viel Geld, sagst du?“
„Sehr viel Geld!“, antwortete Harald stolz.
„Und wer gibt den Spielern das Geld?“, hakte Jojo nach.
„Jaaaa.....“, begann Harald gedehnt, „eigentlich sind wir das. Wir bezahlen ja für das Zuschauen!“
„Und was machen die Männer in der schwarzen Kleidung an der Seite mit den Fahnen? Und warum pfeift der eine von ihnen immer? Warum treten sie nie den Ball?“
„Meine Fresse…“, verlor Harald für Momente die Fassung, „das sind die Schiiiiedsrichter!! Die achten darauf, dass alles korrekt und fair abläuft!“
Jojo schüttelte verständnislos den Kopf und schaute einer Schar Tauben nach, die hoch über dem Stadion kreisten. Dann begann er sich für das Riesenrad vom Kirmes zu interessieren, das sich dicht neben dem Spielfeld in den Himmel drehte. Hanifs Aufmerksamkeit galt mehr dem Inhalt von Käthchens Laufwagen, was ihm erleichtert wurde, da er neben ihr saß. Er probierte auch eine Dose Bier und schien Geschmack an dem für ihn neuen Getränk zu finden, denn als Käthchen ihm noch eine weitere Dose anbot, griff Hanif erfreut zu. Vera grölte inzwischen schon mit heiserer Stimme und schwenkte ihre riesige Fahne, denn Pauli lag mit einem Tor im Hintertreffen und stemmte sich mit Mann und Maus und Publikum gegen eine drohende Niederlage.
Als Pauli kurz vor Schluss der Ausgleich gelang, schlugen die Spieler auf dem Feld Purzelbäume und umarmten sich. Der Torschütze raste mit weit aufgerissenen Augen an der Außenlinie entlang, als bestünde Gefahr für ihn, von seinen Mannschaftskameraden gelyncht zu werden. Schließlich holten sie ihn ein und begruben ihn unter sich. Als dann die Zuschauer noch zu singen begannen, fragte Jojo: „Was ist denn jetzt los?“
„Wir haben auch ein Tor geschossen!“, jubelte Harald, der seiner Marlies immer wieder in die Arme gefallen war.
„Ist das so wichtig?“, fragte Jojo, doch seine Worte gingen im heiseren Gegröle des Stadions unter. Als das Spiel unentschieden vom Schiedsrichter abgepfiffen wurde, waren sämtliche Vorräte an Dosenbier, Salamiwürsten und Kaffee aus Käthchens Gehhilfe aufgezehrt. Sie hatte sich jedoch rechtzeitig eingedeckt und versorgte jetzt Hanif aus den Tiefen ihres riesigen Kittels, den sie über ihre weiße Bluse und einer weiträumigen Hose trug, noch mit einer Wurst.
Bis auf Jojo und Hanif zeigten alle Beteiligten Anzeichen großer Erschöpfung und wirkten abgekämpft, als sie das Stadion verließen und den Weg zum Kirmes
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