Die Lanze des Herrn
ein paar hundert Meter vom Vatikan entfernt.
Die kleine Privatklinik gehörte den Schwestern der Unbefleckten Empfängnis und war technisch auf dem neuesten Stand. Auch dem Papst stand hier ständig eine eigene Suite zur Verfügung.
Unbefleckte Empfängnis, dachte Judith. Zutreffender könnte der Name kaum sein. Von dem Kind, das in acht Monaten auf die Welt kommen sollte, wussten nur die beiden Ärzte von Gemelli, die die Leihmutter behandelt hatten. Sie hatten Elena unter maximaler Bewachung bei maximaler Diskretion in die Privatklinik gebracht. Nun wartete man auf die Entscheidung des Papstes. Es stand außer Frage, dass Kind und Mutter in der Nähe des Vatikans blieben, bis auf dem heutigen Treffen über ihr Schicksal entschieden worden war. Eine Frage beschäftigte Kardinal Lorenzo, Judith und die wenigen anderen Eingeweihten vor allem: Was sollte man mit dem Kind machen?
Da der Vatikan die Auffassung vertrat, man dürfe weder in Gottes Pläne eingreifen, noch ein Kind abtreiben, war die Entscheidung, den Embryo zu töten, besonders schwierig. Noch dazu, wo der Papst gerade seine Enzyklika »Ad vitam aeternam« schrieb. Zwar mochte es im Vatikan Leute geben, die nicht alles so genau nahmen, aber das Leben war dennoch allen heilig. Nur, wie stand es um das Leben eines Klons? Oder würde sich die Kirche auf besondere Umstände berufen, um dieses Leben zu verhindern, und zwar auf eine Weise, dass niemand etwas davon erfuhr? Um ihre Macht zu bewahren, ihre Traditionen, gewiss, zugleich aber würde sie damit gegen ihre eigenen Prinzipien verstoßen.
Der Papst musste die Frage entscheiden. Bislang hatte er sich geweigert. Der Fötus wuchs weiter. Das Leben war unterwegs.
Judith schüttelte den Kopf, als wolle sie aus einem Albtraum erwachen. Sie sah auf die Uhr und beschleunigte ihren Schritt. Gleich würde die Besprechung beginnen.
Am frühen Morgen hatte Papst Clemens XVI. eine Messe in der Kapelle zelebriert, die der schwarzen Madonna von Tschenstochau geweiht war. Nach dem Frühstück hatte er sich in seine Akten vertieft. Die Besprechung, zu der er auch Judith eingeladen hatte, fand in einem kleinen klimatisierten Raum neben seinem Schlafzimmer statt. An der Besprechung sollten auch Kardinal Almedoes, verantwortlich für die Außenpolitik, Kardinal Acquaviva, Leiter der Glaubenskongregation, und Kardinal Lorenzo teilnehmen. Bis auf Kardinal Almedoes waren alle da. Er hatte im Vatikan bleiben müssen, um sich dringenden Geschäften zu widmen und den letzten Bericht der beiden Ärzte, die die Leihmutter betreuten, entgegenzunehmen. Deshalb war Judith allein mit dem Hubschrauber der Luftwaffe zur Villa Barberini gekommen.
Hinter einer Steineichenallee tauchten endlich die beiden Geschosse des Renaissance-Schlosses auf. Vor dem Eingang parkten ein schwarzer Mercedes, ein grauer BMW und ein weißer Toyota. Auf der Terrasse standen einige Schweizergarden, die vermutlich dachten, wie schön es wäre, den Tag mit einem Bad im päpstlichen Schwimmbad zu beginnen.
Judith ließ sich melden und betrat dann das Innere der Villa Barberini.
Der Palast trug den Namen einer alten römischen Familie, aus der mehrere Päpste hervorgegangen waren und die im Wappen drei Bienen führte. In einer Minute überquerte die junge Frau den Marmorboden der sonnendurchfluteten Vorhalle und trat dann in einen mit Fresken und Bildern reich geschmückten Raum.
Dort saßen die beiden Kardinäle in schweren Sesseln. In der Nähe seines Schreibtischs, das Gesicht zu einem Fenster gewandt, von dem aus man auf den Albaner See blicken konnte, stand Clemens XVI. mit Kalotte, Soutane und Mantel, ein Goldkreuz auf der Brust, und wartete schweigend. Seine hohe Gestalt hob sich vor dem Gegenlicht ab. Die beiden Kardinäle begrüßten Judith. Sie kniete vor dem Heiligen Vater nieder und küsste seinen Ring, anschließend den leuchtenden Rubin von Kardinal Acquaviva. Letzterer gehörte zur famiglia pontifica, der engeren Umgebung des Papstes. Liberale Tendenzen des Vatikans fanden ihren Ausdruck in Einrichtungen wie dem Kulturrat und den päpstlichen Beratern, der konservative Flügel, der fest im Staatssekretariat verankert war, hatte seinen idealen Repräsentanten in Kardinal Michele Acquaviva. Ihm oblagen die Wahrung der Dogmen und die Reinheit der Sitten. Noch heute spielte die Glaubenskongregation, historisch die Nachfolgerin der Inquisition, eine zentrale Rolle bei allen Diskussionen und Auseinandersetzungen.
Der Kardinal, der eine
Weitere Kostenlose Bücher