Die Lanze Gottes (German Edition)
öffnete den Schrein und holte einen länglichen Gegenstand, eingewickelt in ein Stück geöltes Leinen, heraus. Sie legte ihn neben den Schrein und schlug das Tuch beiseite. Ein unbeschreibliches Gefühl durchströmte Janus´ ganzen Körper. War dies tatsächlich die Heilige Lanze, der er schon sein halbes Leben hinterherjagte? Sie sah ganz anders aus als die des Königs. Nicht so breit und wuchtig. Eher unscheinbar und schmal, mit einer fast winzigen Lanzenspitze.
Plötzlich durchströmte ein friedvolles Gefühl seinen ganzen Körper. In diesem Augenblick zweifelte er nicht mehr. Es schien, als würde Gott mit ihm sprechen, als würde er sagen: »Das ist das Ende deiner Suche!« Bilder jagten durch seinen Kopf. Er sah seine Mutter, seinen Vater, Adam und die Menschen in Dänemark und fühlte sich unfähig, etwas zu sagen oder zu tun. Schließlich kniete er nieder und bekreuzigte sich. Dann erhob er sich wieder und trat auf den Altar zu.
Die Äbtissin blickte ihn an. »Nun, Janus von Esken, Ihr dürft sie berühren. Das Blut des Herrn hat sie benetzt. Ihr seid ein guter Mensch, daher möge etwas von ihrer Kraft auf Euch übergehen!«
Voller Ehrfurcht schaute er die Äbtissin an.
»Habt keine Furcht. Es geht Gutes von ihr aus, denn sie ist heilig.«
Janus fuhr langsam mit den Fingerspitzen über den Holzschaft und die Eisenspitze, bekreuzigte sich abermals und spürte, wie Tränen über sein Gesicht rannen. Die Äbtissin ließ ihm etwas Zeit, dann nickte sie ihm zu, wickelte die Reliquie behutsam in das Leinen und reichte ihm das Bündel. Janus nahm es an sich.
»Kniet nieder, Janus von Esken!«
Er tat wie ihm geheißen und senkte seinen Kopf, die Heilige Lanze im Arm haltend.
»Schwört bei Jesus Christus, dass Ihr die Lanze in Sicherheit bringt! Schwört, dass Ihr sie niemals einem König überreicht!«
»Ich schwöre bei Gott und allen Heilgen«, sagte Janus mit zittriger Stimme. Dann verließen sie das Gewölbe.
Die Äbtissin begleitete ihn zum Tor des Klosters. »Denkt immer an Euren Schwur. Ich verlasse mich auf Euch! Geht mit Gott, Janus von Esken.«
»Ich werde Euer Vertrauen nicht enttäuschen, Äbtissin. Ihr erhaltet sobald wie möglich Nachricht von mir.«
Sie schüttelte den Kopf. »Nein, es ist besser für mich, wenn ich nicht zu viel weiß. Es wird Krieg geben in Sachsen und hier ist die Lanze nicht mehr sicher. Mein Bruder darf sie nicht bekommen, aber genauso muss ich verhindern, dass sie meinen Peinigern in die Hände fällt, wer immer sie auch waren. Ich darf nicht schwach werden und den Aufenthaltsort der Reliquie verraten. Ihr habt eine schwere Bürde auf Euch genommen, Graf von Esken.«
Er ließ seinen Blick in Richtung Süden schweifen. Gedankenverloren sagte er: »Ich sende Hermann Nachricht. Er kann Euch Männer zum Schutz schicken.«
Sie lächelte ihn an. »Mein junger Freund, Hermann beschützt mich schon mein ganzes Leben.«
Janus dachte an Wilfried von Breyde und fragte sie: »Wollt Ihr den Namen Eures Peinigers wissen?«
Sie winkte ab. »Was macht das für einen Unterschied? Vertrauen ist der Weg zu Gott, nicht die Gewalt. Ihr wisst, was Vertrauen bedeutet. Jetzt geht! Ich wünsche Euch Glück, auf dass Ihr eines Tages Gerechtigkeit erfahren werdet und Eure Ländereien zurückerhaltet. Gott schütze Euch!«
Vor dem Kloster wartete Notgar und schaute Janus erwartungsvoll an. Er blickte auf das Bündel unter seinem Arm und lächelte. »Nun, ich sehe, dass du erfolgreich warst.«
Janus nickte versonnen.
Er beauftragte den Söldner, zurück zur Gleiburg zu reiten.
»Du kommst nicht mit?«, fragte Notgar.
Janus schüttelte den Kopf. »Ich habe noch etwas zu erledigen.«
»Wo willst du mit der Lanze hin? Soll ich dich nicht begleiten?«
»Nein, das muss ich allein tun, und es ist besser wenn außer mir niemand etwas darüber weiß. Reite zurück und sage Adela, sie soll sich nicht sorgen. Ich komme so schnell es geht nach.«
Janus kannte Notgar. Der Söldner war es gewohnt, Befehle seiner Herren auszuführen und fragte nicht weiter nach. Das war besser so. Je weniger von seinem Vorhaben wussten, umso besser. Er blickte ihm noch eine Weile nach, dann machte er sich in die andere Richtung auf den Weg, zum einzigen Mensch, den er für fähig hielt, die Lanze sicher zu verstecken.
Einige Tage später erreichte Janus das große Bremer Stadttor. Die Blätter der Bäume leuchteten in bunten Farben, der Herbst hielt Einzug. Janus ritt in die Stadt. Es roch nach exotischen
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