Die Lanze Gottes (German Edition)
Kodex unter dem Arm zurückzukommen. Er nahm Janus gegenüber Platz und reichte ihm die Schrift.
Der versuchte, den Titel zu entziffern. Es war auf Latein geschrieben. »Die göttliche Kraft des Blutes« , murmelte Janus. Weiter unten stand ein Name. »Dein gehorsamer Diener, oh Herr, Jared of Cashel« , las er laut vor.
»Ihr seid der lateinischen Sprache mächtig?«, fragte Adam erstaunt.
Janus nickte. Schnell vertiefte er sich in das Schriftstück.
Der Kaiser hat mich bei der Heiligen Jungfrau schwören lassen, dass niemals ein Wort über die wahren Ereignisse in Northumberland über meine Lippen kommt, doch es niederzuschreiben untersagte er mir nicht. Wüsste er davon, so ließe er mir meine Hände abhacken.
… und sie mordeten mit Lust in ihrem Blick. Hilflos musste ich mit ansehen, wie meine Mitbrüder einer nach dem anderen getötet wurden …
Sie war wunderschön. Das Schönste aber an ihr war das Sonnenlicht, das sich jeden Morgen wie ein heiliger Schein um ihre Spitze legte, wenn die ersten Strahlen durch das Fenster kamen …
… und ich sah sie in der Hand meiner Peiniger, und ich wusste, die Heilige Lanze, die größte Reliquie der Christenheit, für immer verloren …
Carolus Magnus verlangte von mir, ein Schweigegelübde abzulegen, und ich verbringe nun den Rest meiner Tage hier im Kloster Corvey, mitten im Herzen des Sachsenlandes …
Ein Mitbruder sah in Rom die Krönung des großen Kaisers. Man trug die Heilige Lanze hinein. Der Bruder beschrieb sie mir, doch nach wenigen Worten wusste ich, dass die Welt aus Lügen besteht, was unserem Herrn Jesus Christus nicht gefällt.
Jared of Cashel im November des Jahres unseres Herrn 823
Janus blickte zu Adam, der ihm regungslos gegenüber saß. Janus hatte ihn irgendwann vergessen, ihn gar nicht mehr wahrgenommen. »Unglaublich! Wenn diese Geschichte wahr ist …«
»… dann ist die Heilige Lanze, die seit Jahrhunderten die Könige und ihr Land beschützt, nichts weiter als eine Fälschung!«, vervollständigte Adam den Satz.
Janus blickte ihn ungläubig an. »Meint Ihr, Kaiser Carolus Magnus wusste davon?«
»Nun, wenn wir den Ausführungen von Bruder Jared Glauben schenken wollen, so ist es möglich, dass der Kaiser es nicht nur gewusst, sondern gar die Fälschung in Auftrag gegeben hat.«
»Warum hätte er das tun sollen?«
Adam schenkte ihm ein überlegenes Lächeln.
»Schon seit alter Zeit wissen die Herrschenden um die Kraft der Symbole, denn sie tragen zur Erhaltung ihrer Macht bei. Nur der belesene Mensch ist in der Lage, sich dem zu verweigern, doch mit solchen gewinnt man keine Kriege und führt kein Reich. Das einfache Volk ist es, der Soldat, der bereit ist, für seinen König zu sterben. Die Heilige Lanze war für Carolus Magnus ein mächtiges Symbol, das er auf keinen Fall verlieren wollte, deshalb hatte er versucht, sie in Northumberland bis zu seiner Krönung in Sicherheit zu bringen. Doch dann hat ein Normanne namens Olaf Ragnarson seine Pläne wohl durchkreuzt.«
»Das wäre möglich«, murmelte Janus gedankenversunken. »Zumindest ist es ein Motiv für die Herstellung einer Fälschung. Aber viel entscheidender ist die Frage, wo die echte Heilige Lanze geblieben ist. Glaubt man den Worten Jareds, so ist sie für immer verloren.«
Adam lächelte abermals. »Das denke ich nicht. Ich weiß viel über die Völker des Nordens. Ich habe ihre Geschichte studiert. Bischof Adalbert träumt davon, die nördlichen Gebiete zu missionieren. Ich habe mit ihm schon oft darüber gesprochen, allerdings hat er leider andere Pläne mit mir. Wie gerne würde ich in den Norden reisen, um in die Fußstapfen des Heiligen Ansgar zu treten. Na sei´s drum. Der Speer jedenfalls hat für die Heiden ebenso große Symbolkraft wie für uns. Ich glaube nicht, dass die Nordmänner die Heilige Lanze vernichtet haben. Nein, sie existiert noch.«
»Was ändert das? Geben wir dem Bischof den Kodex. Er beweist, dass die Lanze der Könige eine Fälschung ist. Die Mauritiusbruderschaft baut ihre Treue zum Reich auf einer Lüge auf. Bischof Adalbert kann sie zu Fall bringen!«, sagte Janus. Im gleichen Moment wurde ihm bewusst, dass er sich verraten hatte, denn Adam musterte ihn kritisch.
»Mauritiusbruderschaft? Wovon redet Ihr, junger Freund?«
Janus dachte kurz nach. Wie weit konnte er Adam von Bremen trauen? Schließlich entschied er, ihm alles zu erzählen, der Mönch konnte ihm vielleicht weiterhelfen. Adam hörte ihm geduldig zu und als er
Weitere Kostenlose Bücher