Die Larve
probieren kann, muss man sich dafür bis aufs letzte Hemd ausziehen und seine Seele verkaufen. Das Leben ist ein Restaurant, das man sich nicht leisten kann. Der Tod die Rechnung für ein Gericht, das man noch nicht mal essen konnte. Also bestellt man das teuerste auf der ganzen Speisekarte, man geht ja eh über den Jordan, nicht wahr, und vielleicht schafft man es ja doch, sich wenigstens eine Gabel in den Mund zu schieben.
Okay, ich hör ja schon auf zu jammern, Papa. Geh noch nicht, du hast ja noch nicht alles gehört. Denn der Rest ist gut. Wo waren wir? Ach ja. Es waren nur wenige Tage nach dem Einbruch in Alnabru vergangen, als Oleg und ich von Peter und Andrej geholt wurden. Sie banden Oleg einen Schal vor die Augen, fuhren uns zum Haus des Alten und brachten uns in den Keller. Dort war ich vorher noch nie gewesen. Wir wurden durch einen schmalen, langen Flur geführt, der so niedrig war, dass wir den Kopf einziehen mussten. Unsere Schultern schabten an den Wänden entlang. Irgendwann checkte ich, dass das kein Keller, sondern ein unterirdischer Gang war. Möglicherweise ein Fluchtweg. Sixpence hatte das allerdings nicht geholfen. Er sah aus wie eine abgesoffene Ratte. Nun, im Grunde war er das ja auch, eine abgesoffene Ratte.
Nachdem wir einen Blick auf ihn geworfen hatten, verbanden sie Oleg wieder die Augen und brachten ihn zurück zum Auto, während ich zu dem Alten geführt wurde. Er saß mir gegenüber auf einem Sessel, zwischen uns war nicht einmal ein Tisch.
»Wart ihr da?«, wollte er wissen.
Ich sah ihm direkt in die Augen. »Wenn Sie fragen, ob wir in Alnabru waren, so lautet die Antwort nein.«
Er musterte mich still.
»Du bist wie ich«, sagte er schließlich. »Es ist unmöglich, dir eine Lüge anzusehen.«
Ich möchte nicht darauf wetten, aber ich glaube, ich sah in diesem Augenblick so etwas wie ein Lächeln auf seinem Gesicht.
»Und, Gusto, hast du kapiert, was das da unten sollte?«
»Das war der verdeckte Ermittler. Dieser Sixpence.«
»Korrekt, und warum?«
»Keine Ahnung.«
»Denk nach.«
Ich tippte, der Typ war in einem früheren Leben irgendein nerviger Lehrer, aber egal, ich antwortete: »Er hat was geklaut.«
Der Alte schüttelte den Kopf. »Er hat herausgefunden, dass ich hier wohne. Er wusste, dass es für einen Durchsuchungsbeschluss nicht reichte, und nach der Festnahme der Los Lobos und der Beschlagnahmung in Alnabru hat er die Zeichen vermutlich richtig gedeutet und ein für alle Mal verstanden, dass er einen solchen Befehl auch wohl niemals kriegen würde, was auch immer er in der Hand hatte …« Der Alte grinste. »Wir haben ihm eine Warnung zukommen lassen, von der wir eigentlich dachten, er hätte sie verstanden.«
»Ja?«
»Verdeckte Ermittler wie er vertrauen auf ihre falsche Identität. Sie glauben einfach nicht, dass es jemandem gelingen könnte, ihre wahre Identität herauszufinden. Oder wer ihre Familie ist. Aber in den Archiven der Polizei findet man alles, man braucht nur die richtigen Passwörter. Und die hat man schon dann, wenn man eine gute Stelle bei Orgkrim hat. Und wie haben wir ihn gewarnt?«
Ich antwortete, ohne nachzudenken. »Habt ihr seine Kinder abgemurkst?«
Etwas verfinsterte sich im Blick des Alten. »Wir sind doch keine Unmenschen, Gusto.«
» Sorry .«
»Außerdem hat er gar keine Kinder.« Fischerbootlachen. »Dafür aber eine Schwester, vielleicht auch nur eine Stiefschwester.«
Ich nickte. Es war unmöglich zu erkennen, ob er log.
»Wir haben ihm zu verstehen gegeben, dass sie erst vergewaltigt und dann umgebracht werden würde, aber ich habe ihn falsch eingeschätzt. Statt sich darauf zu besinnen, dass er nicht allein ist auf dieser Welt, ging er zum Angriff über. Ein verflucht einsamer, verzweifelter Angriff. Aber er hat es tatsächlich geschafft, hier nachts einzusteigen. Ohne dass wir darauf vorbereitet waren. Vermutlich hat er diese Schwester sehr gerngehabt. Er war bewaffnet. Ich ging in den Keller, und er folgte mir. Und dann ist er gestorben.« Er legte den Kopf zur Seite. »Woran?«
»Es ist Wasser aus seinem Mund gelaufen. Ertrunken?«
»Korrekt. Und wo ertrunken?«
»Haben Sie ihn aus irgendeinem See hierher gebracht?«
»Nein, er ist hier eingestiegen und dann ertrunken. Also?«
»Dann verstehe ich das nicht …«
»Denk nach!« Die Worte zischten wie eine Peitsche. »Wenn du überleben willst, musst du deinen Kopf benutzen und Schlussfolgerungen aus dem ziehen, was du siehst. So ist das wirkliche
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