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Die Larve

Die Larve

Titel: Die Larve Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Nesbø
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hervorquellenden Augen. Und er stank nach einer Mischung aus Zahnarzt und Exkrementen. Aber er war nüchtern.
    »Ich dachte …«, sagte Oleg.
    »Du dachtest, das wären sie.«
    Oleg legte die Hände vors Gesicht.
    »Komm«, sagte Harry, »lass uns nach draußen gehen.«
    Sie setzten sich oben auf die Tribüne. Saßen in dem blassen Vormittagslicht, das auf die rissige Betonfläche fiel. Harry dachte an all die Male, die er dort gesessen und Oleg laufen gesehen hatte. An das Singen der Kufen, bevor sie sich ins Eis gruben, die matten Reflexe der Scheinwerfer auf der erst türkisgrünen und dann mehr und mehr milchig weißen Oberfläche.
    Sie saßen dicht nebeneinander, als wäre die Tribüne überfüllt.
    Einen Moment lang lauschte Harry Olegs Atem, dann sagte er: »Wer sind die, Oleg? Du musst mir vertrauen. Wenn ich dich finden kann, können die das auch.«
    »Und wie hast du mich gefunden?«
    »Man nennt das Deduktion.«
    »Ich weiß, was das ist. Man schließt das Unmögliche aus und guckt, was man noch hat.«
    »Wann bist du hierhergekommen?«
    Oleg zuckte mit den Schultern: »Irgendwann gestern Abend. Gegen neun.«
    »Warum hast du nicht deine Mutter angerufen, als du raus warst? Du weißt, dass es jetzt draußen lebensgefährlich für dich ist.«
    »Sie hätte mich nur irgendwo versteckt, sie oder dieser Nils Christian.«
    »Hans Christian. Sie werden dich finden, weißt du?«
    Oleg sah auf seine Hände.
    »Ich dachte, du würdest nach Oslo kommen, um dir möglichst bald einen Schuss zu setzen«, sagte Harry. »Aber du bist noch nüchtern.«
    »Das bin ich schon seit über einer Woche.«
    »Warum?«
    Oleg antwortete nicht.
    »Ist das wegen ihr, wegen dieser Irene?«
    Oleg starrte auf den Beton, als sähe auch er sich selbst dort unten und hörte das Schneiden der Kufen. Er nickte langsam. »Ich bin der Einzige, der sie zu finden versucht. Sie hat nur mich.«
    Harry sagte nichts.
    »Dieses Schmuckkästchen, das ich Mama geklaut habe …«
    »Ja?«
    »Ich habe alles gegen Dope eingetauscht, nur nicht den Ring, den du ihr gekauft hast.«
    »Warum nicht den auch?«
    Oleg lächelte. »Zum einen, weil der nicht viel wert war.«
    »Was?« Harry machte ein betont entsetztes Gesicht. »Bin ich betrogen worden?«
    Oleg lachte. »Ein goldener Ring mit einer schwarzen Kerbe? Das war irgendeine Kupferlegierung mit ein bisschen Blei, damit der Ring schwerer wirkte.«
    »Und warum hast du den dann nicht einfach liegen gelassen?«
    »Mama brauchte den doch nicht mehr, und ich wollte den Ring für Irene.«
    »Kupfer, Blei und ein bisschen goldene Farbe?«
    Oleg zuckte mit den Schultern. »Irgendwie war das stimmig. Außerdem weiß ich noch, wie glücklich Mama war, als du ihr den Ring auf den Finger geschoben hast.«
    »An was erinnerst du dich sonst noch?«
    »Das war ein Sonntag auf so einem Markt im Westen. Die Sonne stand irgendwie schräg, und wir sind durch knisterndes Herbstlaub gelaufen. Du und Mama, ihr habt gelächelt und dann über irgendetwas gelacht. Ich hatte Lust, deine Hand zu nehmen. Aber ich war ja kein kleiner Junge mehr. Du hast den Ring an so einem Stand gekauft, an dem sie den Nachlass einer Verstorbenen verscherbelt haben.«
    »Das weißt du alles noch?«
    »Ja, und ich dachte, wenn Irene nur halb so glücklich wäre wie Mama …«
    »Und, war sie das?«
    Oleg sah Harry an. Blinzelte. »Ich weiß es nicht mehr. Wir waren wohl beide high, als ich ihn ihr gegeben habe.«
    Harry schluckte.
    »Er hat sie«, sagte Oleg.
    »Wer?«
    »Dubai. Er hat Irene. Er hält sie als Geisel gefangen, damit ich nichts sage.«
    Harry starrte Oleg an, der den Kopf senkte.
    »Deshalb habe ich nichts gesagt.«
    »Du weißt etwas? Und sie haben dir damit gedroht, Irene etwas anzutun, wenn du redest?«
    »Das brauchten sie gar nicht. Die wissen, dass ich nicht dumm bin. Außerdem mussten sie ja auch Irene zum Schweigen bringen. Die haben sie, Harry, bestimmt.«
    Harry rutschte auf der Mauer etwas zur Seite und dachte, dass sie so immer bei wichtigen Läufen gesessen hatten. Mit gesenkten Köpfen, schweigend, wie in gemeinsamer Konzentration. Oleg wollte keinen Rat, und Harry konnte ihm keinen geben. Aber es gefiel Oleg, dass sie so saßen.
    Harry räusperte sich. Dieses Rennen war nicht Olegs Rennen.
    »Wenn wir eine Chance haben wollen, Irene zu retten, musst du mir helfen, Dubai zu finden«, sagte Harry.
    Oleg sah zu Harry hinüber. Schob die Hände unter die Oberschenkel und trippelte mit den Füßen. Das hatte er auch früher

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