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Die Larve

Die Larve

Titel: Die Larve Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Nesbø
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Leben.«
    »Okay, okay.« Ich versuchte nachzudenken. »Der Keller ist kein Keller, sondern ein Tunnel.«
    Der Alte verschränkte die Arme. »Und?«
    »Er ist länger als das Haus hier. Möglicherweise führt der irgendwo ins Freie, aber …«
    »Aber?«
    »Nun, Sie haben ja gesagt, dass Ihnen auch das Nachbarhaus gehört, also führt er vermutlich dorthin.«
    Der Alte lächelte zufrieden. »Schätz mal, wie alt dieser Tunnel ist.«
    »Alt. Die Wände waren ganz vermoost.«
    »Das sind Algen. Nachdem die Widerstandsbewegung vier missglückte Anschläge auf dieses Haus unternommen hatte, ließ der Gestapo-Chef still und heimlich diesen Tunnel bauen. Wenn Reinhard nachmittags nach Hause kam, ging er durch den Haupteingang ins Haus, damit alle ihn sehen konnten. Er schaltete das Licht ein und ging dann durch den Tunnel in sein eigentliches Haus nebenan und schickte den deutschen Leutnant, von dem alle glaubten, dass er dort wohnte, hierher. Und dieser Leutnant stolzierte dann hier in der gleichen Gestapo-Uniform wie sein Chef herum, am liebsten in der Nähe des Fensters.«
    »So ein sitting duck .«
    »Korrekt.«
    »Und warum erzählen Sie mir das?«
    »Weil ich will, dass du weißt, wie das wirkliche Leben ist, Gusto. Die meisten Leute in diesem Land haben keine Ahnung, was es heißt, im wirklichen Leben zu überleben. Aber ich erzähle dir das auch, damit du dich daran erinnerst, dass ich dir vertraut habe.«
    Der Blick, mit dem er mich ansah, sollte wohl belegen, wie wichtig ihm das war. Ich tat so, als hätte ich es kapiert. Ich wollte nach Hause. Vielleicht hat er mir das angesehen.
    »Danke, Gusto, das war’s für heute. Andrej fährt euch nach Hause.«
    Als das Auto an der Universität vorbeifuhr, war auf dem Campus irgend so ein Studentenfest mit einer Freiluftbühne, von der Gitarren zu hören waren. Junge Leute kamen uns auf dem Blindernveien entgegen. Fröhliche, erwartungsvolle Gesichter, als wäre ihnen etwas versprochen worden, eine Zukunft oder was weiß ich.
    »Was ist das?«, fragte Oleg, dem noch immer die Augen verbunden waren.
    »Das«, sagte ich, »ist das unwirkliche Leben.«
    »Und du hast wirklich keine Ahnung, wie er ertrinken konnte?«, fragte Harry.
    »Nein«, antwortete Oleg. Das Trippeln hatte an Intensität zugenommen, sein ganzer Körper vibrierte jetzt.
    »Okay, du hattest also eine Binde vor den Augen, erzähl mir trotzdem alles, woran du dich von der Fahrt dahin und wieder zurück erinnerst. Die Geräusche. Als ihr aus dem Auto gestiegen seid, hast du da vielleicht einen Zug oder eine Straßenbahn gehört?«
    »Nein, aber es regnete, als wir gekommen sind. Viel gehört habe ich da nicht.«
    »Starker Regen oder leichter Regen?«
    »Leicht. Ich hab den kaum gespürt, als wir aus dem Auto stiegen, aber eben gehört.«
    »Okay, wenn leichter Regen so deutliche Geräusche macht, waren da vielleicht Laubbäume?«
    »Möglich.«
    »Wie war das auf dem Weg zur Tür. Was war unter deinen Füßen? Asphalt? Platten? Gras?«
    »Kies, glaube ich. Doch, es knirschte. So wusste ich, wo Peter war. Er ist schwer, seine Schritte knirschten am lautesten.«
    »Gut. Gab es am Haus eine Treppe?«
    »Ja?«
    »Wie viele Stufen?«
    Oleg stöhnte.
    »Okay«, sagte Harry. »Hat es noch geregnet, als du vor der Tür standst?«
    »Ja, natürlich.«
    »Ich meine, hast du den Regen noch in den Haaren gespürt?«
    »Ja.«
    »Dann hat das Haus also keinen überdachten Vorbau?«
    »Willst du jetzt in ganz Oslo nach Häusern ohne Vorbau suchen?«
    »Nun, die verschiedenen Stadtteile von Oslo sind in unterschiedlichen Zeiten gebaut worden. Und die Häuser aus den jeweiligen Epochen haben einiges gemeinsam.«
    »Und für welche Zeit steht eine Holzvilla mit Garten, Kieseinfahrt und Treppe zu einem Haus ohne Vorbau und ohne Straßenbahnschienen in der Nähe?«
    »Du hörst dich schon an wie ein Polizeipräsident.« Harry erntete nicht das Lachen oder Lächeln, auf das er gehofft hatte. »Als ihr von da weggefahren seid, sind dir da noch andere Geräusche in der Nähe aufgefallen?«
    »Was zum Beispiel?«
    »Das Piepen einer Ampel, an der ihr halten musstet?«
    »Nein, so was nicht. Aber da war Musik.«
    »Platte oder live?«
    »Live, glaube ich. Die Becken waren deutlich zu hören. Die Gitarren kamen und gingen ein bisschen mit dem Wind.«
    »Hört sich live an, ja, gut erinnert.«
    »Die haben einen deiner Songs gespielt, vielleicht hat sich das deshalb bei mir eingeprägt.«
    » Meiner Songs?«
    »Ja, von einer deiner

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