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Die Larve

Die Larve

Titel: Die Larve Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Nesbø
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wollte, glaubte er im Hintergrund noch eine andere schläfrige Stimme zu hören. Doch schon beim Anziehen hatte er sich wieder davon überzeugt, sich geirrt zu haben.
    Kapitel 29
    H arry wartete schon zwanzig Minuten unter der einzigen Straßenlaterne weit und breit, als Hans Christian in einem schwarzen Jogginganzug eilig über den Bürgersteig auf ihn zukam.
    »Ich habe im Monolittveien geparkt«, sagte er, noch ganz außer Atem. »Ist so ein Leinenanzug eigentlich das richtige Outfit für eine Grabschändung?«
    Harry hob den Kopf, und Hans Christian riss die Augen auf. »Gott, wie siehst du denn aus. Also diesen Barbier …«
    »… kann man wirklich nicht empfehlen«, sagte Harry. »Komm, gehen wir mal aus dem Licht.«
    Im Dunkeln blieb Harry stehen. »Das Pflaster?«
    »Hier.«
    Während Harry sich Pflaster auf die Nähte an Kinn und Hals klebte, sah Hans Christian zu den Häusern hinüber, die hinter ihnen auf der kleinen Anhöhe lagen. Alle Fenster waren dunkel.
    »Beruhige dich, hier sieht uns niemand«, sagte Harry, nahm Hans Christian einen Spaten ab und ging los. Hans Christian hastete hinter ihm her, zog eine Taschenlampe aus der Tasche und schaltete sie ein.
    »Jetzt sehen sie uns«, sagte Harry.
    Hans Christian machte die Lampe wieder aus.
    Sie überquerten den Platz mit dem Mahnmal für die gefallenen Soldaten, passierten die Kriegsgräber der britischen Matrosen und gelangten auf den eigentlichen Friedhof mit seinen gekiesten Wegen, wo Harry feststellen musste, dass im Tod doch nicht alle gleich waren: Hier im Westen der Stadt waren die Grabsteine größer und glänzender als im Osten. Bei jedem Schritt knirschte der Kies unter ihren Füßen, und aus dem Knirschen wurde, als sie schneller gingen, ein leises, anhaltendes Rauschen.
    Am Grab der Zigeunerkönigin blieben sie stehen.
    »Von hier ist das der zweite Weg links«, flüsterte Hans Christian und versuchte die ausgedruckte Karte irgendwie ins spärliche Mondlicht zu halten.
    Harry starrte zurück in das Dunkel, aus dem sie gekommen waren.
    »Stimmt was nicht?«, flüsterte Hans Christian.
    »Ich dachte, ich hätte Schritte gehört. Aber die Geräusche sind verstummt, als wir stehen geblieben sind.« Harry hob den Kopf, als nähme er Witterung auf. »Echo«, sagte er. »Komm.«
    Zwei Minuten später standen sie vor einem bescheidenen, schwarzen Stein. Harry platzierte die Taschenlampe unmittelbar vor dem Stein, bevor er sie einschaltete. Die Inschrift war mit goldener Farbe hervorgehoben worden:
    Gusto Hanssen
    14. 03. 1991–12. 07. 20..
    Ruhe in Frieden
    »Bingo«, flüsterte Harry trocken.
    »Wie sollen wir …?«, begann Hans Christian, wurde aber von dem Schmatzen unterbrochen, das erklang, als Harry seinen Spaten in die weiche Erde stieß. Dann nahm auch er seinen Spaten und legte los.
    Es war halb vier, der Mond war gerade hinter den Wolken verschwunden, als Harrys Spatenspitze auf etwas Hartes stieß.
    Fünfzehn Minuten später hatten sie den Deckel des weißen Sargs freigelegt.
    Sie nahmen die Schraubenzieher, knieten sich auf den Sargdeckel und lösten die sechs Deckelschrauben.
    »Wir kriegen den nicht auf, wenn wir beide daraufhocken«, sagte Harry. »Einer von uns muss nach oben, damit der andere ihn öffnen kann. Freiwillige?«
    Hans Christian war bereits auf dem Weg nach oben.
    Harry presste einen Fuß neben den Sarg, stemmte den anderen gegen die Erdwand und schob seine Finger unter den Deckel. Dann hob er ihn an und begann aus alter Gewohnheit, durch den Mund zu atmen. Noch bevor er den Blick nach unten richtete, spürte er die Wärme, die ihm aus dem Grab entgegenschlug. Er wusste, dass die Verwesung Energie freisetzte, das eigentlich Unangenehme, das seine Nackenhaare dazu brachte, sich aufzustellen, war aber das knisternde Geräusch der Fliegenlarven im Fleisch. Harry drückte den Deckel mit dem Knie seitlich an die Wand.
    »Leucht mal hierhin«, sagte er.
    Glänzende, weiße Fliegenlarven wanden sich um Mund und Nase des Toten. Die Augenlider waren eingesunken, da die Augäpfel als Erstes verspeist worden waren. Der Geruch erinnerte nicht an Gas, sondern beinahe an etwas Fließendes oder Festes.
    Harry unterdrückte das Würgen, während Hans Christian sich übergab, und konzentrierte sich: Das Gesicht war dunkel verfärbt, es war unmöglich zu erkennen, ob der Betreffende Gusto Hanssen war, wenn auch Haarfarbe und Kopfform darauf hindeuteten.
    Aber etwas anderes weckte Harrys Aufmerksamkeit und verschlug ihm den Atem.
    Gusto

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