Die Larve
Kopf. »Du hast ein reines, mutiges Herz, Harry. Vielleicht kommst du in den Himmel.«
Harry steckte sich eine Zigarette zwischen die Lippen. »Dann wird es wohl in jedem Fall ein Happy End geben, oder?«
»Das muss gefeiert werden. Kann ich dir einen Drink anbieten, Harry Hole?«
»Wer bezahlt?«
»Ich, natürlich. Wenn du mir was vorstreckst. Du kannst deinen Jim begrüßen, und ich meinen Johnny.«
»Weiche von mir.«
»Komm sson. Jim ist ein von Grund auf Guter.«
»Gute Nacht, schlaf gut.«
»Gute Nacht. Und schlaf nicht ssu gut, ssonst …«
»Gute Nacht.«
Es war die ganze Zeit da gewesen, doch Harry hatte es irgendwie unterdrücken können. Bis jetzt, bis zu Catos Einladung, etwas zu trinken. Sie hatte ausgereicht. War genug gewesen, damit der Sog in seinem Bauch nicht mehr zu ignorieren war. Begonnen hatte es mit dem Schuss Violin, der hatte alles in Gang gesetzt, das Rudel Hunde losgelassen. Jetzt kratzten und geiferten sie, bellten sich heiser und bissen in seine Eingeweide. Harry lag mit geschlossenen Augen auf dem Bett, lauschte dem Regen und hoffte darauf, dass der Schlaf ihn wegbrachte, entführte, irgendwohin.
Er tat es nicht.
Einer Telefonnummer seiner Kontaktliste hatte Harry ganze zwei Buchstaben gewidmet. AA . Anonyme Alkoholiker. Trygve, ein AA -Mitglied und Sponsor, der ihm schon einmal geholfen hatte, als es kritisch geworden war. Drei Jahre. Warum sollte er jetzt wieder anfangen, jetzt, da alles auf dem Spiel stand und es mehr als jemals zuvor darauf ankam, dass er nüchtern war? Es war vollkommen verrückt. Draußen ertönte ein Schrei, gefolgt von einem Lachen.
Um zehn nach elf stieg er aus dem Bett und ging nach draußen. Er spürte den Regen kaum, der auf seinen Schädel klatschte, als er die Straße überquerte und auf die geöffnete Tür zuging. Dieses Mal hörte er keine Schritte hinter sich, bis Kurt Cobains Stimme seine Gehörgänge erfüllte. Die Musik war wie eine Umarmung, er trat ein, setzte sich auf den Barhocker, streckte die Hand aus und rief dem Barkeeper zu:
»Whis – key. Jim – Beam.«
Der Barkeeper hörte auf, den Tresen zu putzen, legte den Lappen neben den Korkenzieher und nahm die Flasche vom Spiegelregal. Goss ein. Stellte das Glas auf den Tresen. Harry platzierte seine Unterarme rechts und links der goldbraunen Flüssigkeit. In diesem Augenblick existierte nichts anderes mehr. Absolut nichts.
Kein Nirvana, kein Oleg, keine Rakel, kein Gusto, kein Dubai. Nicht das Gesicht von Tord Schultz. Und auch nicht die Gestalt, die beim Eintreten für einen Moment die Geräusche dämpfte, die von der Straße hereindrangen. Harry hörte weder, dass sie sich hinter ihn stellte, noch das singende Geräusch der Federn, als die Klinge aus dem Schaft sprang, oder den schweren Atem von Sergej Ivanov, der mit geschlossenen Beinen und gesenkten Armen einen Meter hinter ihm stand.
Sergej starrte auf den Rücken des Mannes, der vor ihm saß. Er hatte beide Arme auf den Tresen gelegt. Besser ging’s nicht. Seine Stunde war gekommen. Sein Herz schlug. Wild und frisch. So hatte es auch gehämmert, als er zum ersten Mal ein Heroinpäckchen aus dem Flugzeug geholt hatte. Alle Furcht war wie weggeblasen. Endlich spürte er, dass er am Leben war. Dass er lebte und den Mann vor sich töten sollte. Ihm das Leben nehmen und es zu einem Teil des seinen machen. Allein der Gedanke daran ließ ihn wachsen, als verzehrte er bereits das Herz seines Feindes. Jetzt. Handeln. Sergej hielt die Luft an, trat vor, legte die linke Hand auf Harrys Kopf. Wie eine Segnung. Als ob er ihn taufen wollte.
Kapitel 28
S ergej Ivanov fand keinen Halt. Er kriegte den Kopf einfach nicht zu packen. Durch den verdammten Regen war der Schädel des Mannes so nass, dass ihm die Haare immer wieder aus den Fingern rutschten und es ihm nicht gelang, den Kopf nach hinten zu ziehen. Sergejs linke Hand schoss wieder vor, legte sich auf die Stirn des Mannes und zog den Kopf zurück, während seine Rechte das Messer vor den Hals schob. Der Körper des Mannes zuckte zusammen. Sergej zog das Messer zu sich, spürte, dass es Kontakt bekam, sich durch Haut schnitt. Da! Warmes Blut spritzte auf seinen Daumen. Nicht so kräftig wie erwartet, aber nach drei weiteren Herzschlägen sollte es vorbei sein. Er richtete den Blick auf den Spiegel, um zu sehen, wie es herausspritzte, sah aber nur gefletschte Zähne und eine klaffende Wunde, aus der Blut auf das Hemd troff. Und er sah den Blick des Mannes. Es war der kalte Blick
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