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Die Larve

Die Larve

Titel: Die Larve Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Nesbø
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den Kieswegen zu bleiben, um nicht über irgendwelche Grabsteine zu stolpern, der Nachteil war allerdings, dass er wegen des Knirschens seiner Schritte etwaige Verfolger nicht hören konnte. Am Mahnmal lief er auf den Rasen. Hinter ihm war es still. Doch dann sah er den zitternden Lichtkegel oben in den Baumkronen. Jemand folgte ihm mit eingeschalteter Taschenlampe. Harry rannte wieder auf den Weg und weiter in Richtung Park. Versuchte die Schmerzen in seinem Hals zu ignorieren und entspannt und effektiv zu laufen, sich auf Technik und Atmung zu konzentrieren. Er redete sich ein, dass der Abstand größer wurde. Er lief zum Monolith. Unter den Lampen oben auf der Anhöhe würden sie ihn sehen und sicher denken, dass er zum Haupteingang auf der Ostseite des Parks lief. Als er die Anhöhe hinter sich hatte und außer Sichtweite war, drehte er jedoch nach Südwesten ab und lief in Richtung Madserud allé. Das Adrenalin hatte bis jetzt alle Signale der Müdigkeit verdrängt, doch nun spürte er, dass seine Muskulatur langsam hart wurde. Für einen Moment wurde ihm schwarz vor Augen, und er fürchtete, das Bewusstsein zu verlieren. Doch dann war er wieder da, überwältigt von einer plötzlichen Übelkeit. Ihm war schwindelig, und er blickte zu Boden. Das Blut rann zäh aus seinem Ärmel und klebte zwischen seinen Fingern wie die frisch gekochte Erdbeermarmelade seines Großvaters, die ihm immer vom Brot gelaufen war. Er würde nicht durchhalten. Es war zu weit.
    Er drehte sich um. Sah eine Gestalt oben auf der Anhöhe durch das Licht laufen. Ein großer Mann, aber leichtfüßig, mit engsitzenden, schwarzen Kleidern. Das war keine Polizeiuniform. Jemand vom Sondereinsatzkommando? Aber die kamen doch nicht mitten in der Nacht und noch dazu so kurzfristig, bloß weil jemand auf einem Friedhof buddelte?
    Harry trat taumelnd einen Schritt zur Seite. In seinem Zustand konnte er niemandem davonlaufen. Er musste sich irgendwo verstecken.
    Er lief auf ein Haus in der Madserud allé zu. Verließ den Weg, spurtete über die grasbewachsene Böschung, musste Riesenschritte machen, um nicht ins Stolpern zu geraten, rannte über die Straße, sprang über den niedrigen Lattenzaun und lief zwischen den Apfelbäumen hindurch auf die Rückseite des Hauses, wo er sich in das nasse Gras fallen ließ. Atmete tief durch und spürte, wie sein Magen sich zusammenzog und sich auf das Erbrechen vorbereitete. Er konzentrierte sich auf seine Atmung und lauschte in die Nacht.
    Nichts.
    Trotzdem, es war nur eine Frage der Zeit, bis sie ihn gefunden hätten. Und er brauchte etwas Ordentliches, um seinen Hals zu verbinden. Harry rappelte sich auf, trat an die Terrassentür des Hauses und sah durch das Glas nach drinnen. Das Wohnzimmer lag im Dunkeln.
    Er trat eine Scheibe ein und schob die Hand hinein. Gutes, altes, naives Norwegen. Der Schlüssel steckte in der Tür. Er schlüpfte ins Dunkel.
    Hielt den Atem an. Das Schlafzimmer lag vermutlich im ersten Stock.
    Er schaltete die Stehlampe ein.
    Plüschsessel. Ein alter Fernseher. Konversationslexika. Ein Tisch voller Familienfotos. Strickzeug. Also wohnten hier ältere Leute. Und alte Leute schliefen gut. Oder war das umgekehrt?
    Harry fand die Küche, schaltete das Licht ein und durchsuchte die Schubladen. Besteck, Decken. Er versuchte, sich daran zu erinnern, wo sie so etwas in seiner Kindheit aufbewahrt hatten. Dann öffnete er die zweite Schublade von unten und wurde fündig. Gewöhnliches Paketband, Kreppband und ein breites, silbernes, stabiles Klebeband. Er nahm die glänzende Rolle heraus und öffnete zwei Türen, ehe er das Bad fand. Dann zog er die Jacke und das Hemd aus, streckte den Kopf über die Badewanne und hielt sich die Handdusche über den Hals. Die weiße Emaille lag sofort unter einem roten Filter. Dann trocknete er sich mit dem T-Shirt ab und versuchte, die Wundränder mit den Fingern zusammenzuhalten, während er sich das silberne Klebeband mehrmals um den Hals wickelte. Tastend versicherte er sich, dass es nicht zu straff saß, sein Hirn sollte ja noch durchblutet werden. Dann zog er Hemd und Jacke wieder an. Als eine neuerliche Schwindelattacke ihn übermannte, setzte er sich auf den Badewannenrand – und nahm eine Bewegung wahr.
    Er hob den Kopf.
    Aus der Türöffnung starrte ihn ein blasses, älteres Frauengesicht mit weit aufgerissenen, ängstlichen Augen an. Über dem Nachthemd trug sie einen roten, wattierten Morgenmantel. Er schimmerte seltsam und knisterte elektrisch,

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