Die Larve
fuhren Autos hin und her. Suchmannschaften schienen im Einsatz zu sein. Bestimmt war das Gelände bereits eingekreist. Bald würden sie mit Hunden auftauchen.
Entkommen konnte er nicht, er musste also irgendwo in ein Haus.
Vorsichtig stand er auf und schielte über den Rand der Mauer.
Starrte auf den Kasten mit dem roten Lämpchen und dem Ziffernfeld, der neben der Tür angebracht war.
Das Jahr, in dem der König geboren ist. Verdammt, wer weiß denn so was?
Irgendwie kam ihm die Seite eines Klatschblattes in den Sinn, und er probierte es mit 1941. Es piepte, und er drückte die Klinke nach unten, aber die Tür war noch immer verschlossen. Moment, war der König nicht schon auf der Welt gewesen, als die Familie 1940 nach England ging? Aber noch ganz klein. Ein Säugling? 1939. Oder doch etwas älter? Harry fürchtete, dass die Alarmanlage ihm nur maximal drei Versuche zugestand. 1938. Er drückte die Klinke. Scheiße. 1937? Grünes Licht. Die Tür ging auf.
Harry schlüpfte hinein und hörte sie hinter sich ins Schloss fallen.
Dann verstummten die Geräusche. Er war in Sicherheit.
Als er das Licht einschaltete, fiel sein Blick auf die schmalen Holzbänke und Stahlspinde der Garderobe.
Erst jetzt spürte er, wie erschöpft er war. Aber er konnte hierbleiben, bis es hell wurde und die Jagd abgeblasen worden war. Harry sah sich um. In der Mitte der Wand hing ein Waschbecken mit einem Spiegel. Vier Duschen. Eine Toilette. Und am Ende der Garderobe eine schwere Holztür.
Eine Sauna.
Er ging hinein und ließ die Tür langsam hinter sich ins Schloss fallen. Es roch nach Holz. Dann legte er sich auf eine der breiten Bänke vor dem kalten Ofen und schloss die Augen.
Kapitel 30
S ie liefen zu dritt über den Flur und hielten einander an den Händen. Harry rief, dass sie sich nicht loslassen durften, wenn die Lawine nahte. Es kam darauf an, nicht getrennt zu werden. Dann hörte er die Lawine kommen. Aus dem anfänglichen Grummeln wurde ein Brüllen, und dann war es da, das weiße Dunkel, das schwarze Chaos. Er hielt sie mit all seiner Kraft fest, spürte aber trotzdem, wie ihre Hände aus den seinen glitten.
Harry schrak auf, sah auf die Uhr und stellte fest, dass er drei Stunden geschlafen hatte. Er atmete langsam pfeifend aus, als hätte er die Luft angehalten. Sein Körper fühlte sich an, als hätte ihn jemand grün und blau geschlagen. Der Nacken tat weh, und die Kopfschmerzen waren beinahe unerträglich. Er schwitzte. War so nass, dass seine Anzugjacke schwarze Flecken bekommen hatte. Warum, war klar. Er brauchte sich nicht einmal umzudrehen, um zu wissen, dass jemand den Ofen eingeschaltet hatte.
Er kam auf die Beine und taumelte in die Garderobe. Auf der Bank lagen Kleider, und er hörte das Klatschen eines Tennisballs auf einem Schläger. Der Ofen war tatsächlich eingeschaltet worden. Vermutlich wollten sie nach dem Training schnell in die Sauna.
Harry trat ans Waschbecken und warf einen Blick in den Spiegel. Rote Augen, rotes, aufgedunsenes Gesicht und ein lächerliches Halsband aus silbernem Klebeband, dessen Rand sich tief in die weiche Haut seines Halses gegraben hatte. Er warf sich Wasser ins Gesicht und trat nach draußen in die Morgensonne.
Drei Männer, alle drei rentnerbraun und mit dünnen Alte-Männer-Beinen, hörten zu spielen auf und sahen ihn an. Einer von ihnen rückte seine Brille zurecht.
»Junger Mann, uns fehlt noch der vierte Mann für ein Doppel, wenn Sie Lust haben …«
Harry sah sie direkt an und konzentrierte sich darauf, ruhig zu sprechen. »Sorry, Jungs, Tennisarm.«
Harry spürte ihre Blicke auf dem Rücken, als er in Richtung Skøyen ging. Irgendwo sollte hier doch ein Bus aufzutreiben sein.
Truls Berntsen klopfte an die Tür des Dezernatsleiters.
»Herein!«
Bellman telefonierte. Er sah ruhig aus, aber Truls kannte Mikael gut genug, um die Hand, die immer wieder nach oben zu seinen sorgsam frisierten Haaren zuckte, die etwas hastig gesprochenen Worte und die konzentrierte Falte auf seiner Stirn richtig zu deuten.
Bellman legte auf.
»Kein guter Morgen?«, fragte Truls und reichte Bellman eine dampfende Kaffeetasse.
Der Dezernatsleiter sah überrascht auf die Tasse und nahm sie entgegen.
»Der Kriminaldirektor«, sagte Bellman und deutete auf das Telefon. »Die Zeitungen setzen ihn wegen dieser alten Frau in der Madserud allé unter Druck. Das Haus ist fast komplett zerschossen worden, und ich soll ihm erklären, was da passiert ist.«
»Was hast du
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