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Die Larve

Die Larve

Titel: Die Larve Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Nesbø
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Berthold Treschow in Oppsal in Oslo und einen …«
    »Das ist er, können Sie mich mit seiner Handynummer verbinden?«
    Nicht enden wollende drei Sekunden später antwortete eine bekannte, müde Stimme.
    »Ich kaufe nichts.«
    »Holzschuh?«
    Eine lange Pause folgte. Harry sah das verblüffte Gesicht seines fetten Jugendfreundes vor sich.
    »Harry? Long time .«
    »Höchstens sechs oder sieben Jahre. Bist du bei der Arbeit?«
    »Ja.« Der Tonfall und das langgezogene A zeigten, dass er bereits misstrauisch geworden war. Niemand rief Holzschuh einfach so an.
    »Ich brauche dringend einen kleinen Gefallen.«
    »Kann ich mir denken. Wie ist das eigentlich mit dem Hunderter, den ich dir geliehen habe? Du meintest …«
    »Du musst für mich den Strom abstellen. Im Bereich Frognerpark – Madserud allé.«
    »Was soll ich machen?«
    »Wir haben hier einen Polizeieinsatz gegen einen bis an die Zähne bewaffneten Typ. Wir müssen dem das Licht abschalten. Du bist doch noch bei Montebello in der Schaltzentrale, oder?«
    Erneute Pause.
    »Schon, aber bist du denn noch Bulle?«
    »Klar. Du, das eilt wirklich.«
    »Ist mir doch egal. Ich bin für so was nicht autorisiert. Da musst du mit Henmo reden, aber der …«
    »Der schläft jetzt, und wir haben wirklich keine Zeit!«, rief Harry. Im selben Augenblick knallte ein weiterer Schuss und zerlegte den Küchenschrank. Teller und Tassen rutschten klirrend heraus und zersplitterten am Boden.
    »Was zum Henker war das denn?«, fragte Holzschuh.
    »Was glaubst du denn? Du hast die Wahl zwischen einem vierzig Sekunden dauernden Stromausfall oder einem Haufen toter Menschen.«
    Am anderen Ende blieb es ein paar Sekunden still. Dann antwortete er, langsam:
    »So was, Harry. Sitze ich also doch mal am längeren Hebel. Hättest du nicht gedacht, oder?«
    Harry hielt die Luft an und sah im selben Moment einen Schatten über die Terrasse huschen. »Nein, Holzschuh, das hätte ich nicht gedacht … kannst du …?«
    »Øystein und du, ihr habt doch nie geglaubt, dass aus mir mal was wird, oder?«
    »Nein, da haben wir uns aber gründlich geirrt.«
    »Wenn du ›bitte‹ sagst …«
    »Schalt diesen verfluchten Strom aus!«, brüllte Harry und stellte fest, dass die Verbindung unterbrochen war. Er stand auf, nahm die alte Frau unter den Arm und schleppte sie förmlich ins Bad. »Bleiben Sie hier!«, flüsterte er, warf die Tür hinter sich zu und rannte auf die Eingangstür zu. Er stürmte dem Licht entgegen und bereitete sich mental auf den Kugelhagel vor.
    Dann wurde alles schwarz.
    So schwarz, dass er einen verwirrten Augenblick lang dachte, er wäre tot, als er auf dem Bürgersteig landete und sich zur Seite rollte. Dann erst kapierte er, dass Asbjørn »Holzschuh« Treschow oben in seiner Zentrale den Schalter umgelegt, auf irgendeine Tastatur gedrückt oder sonst irgendetwas gemacht hatte. Und dass er vierzig Sekunden hatte.
    Harry lief wie blind durch die Finsternis. Stolperte über einen Lattenzaun, rappelte sich wieder hoch, bekam Asphalt unter die Füße und rannte weiter. Er hörte Rufe und näher kommende Sirenen, aber auch das Brummen eines großen Automotors, der angelassen wurde. Als er nach rechts abbog, sah er genug, um auf dem Weg zu bleiben. Er befand sich am südlichen Rand des Frognerparks, und plötzlich gab es wirklich eine Chance zu entkommen. Er rannte an dunklen Villen und Bäumen vorbei. Noch immer war alles dunkel, aber das Motorengeräusch kam näher. Er hastete nach links zu dem Parkplatz vor den Tennisplätzen. Ein Loch oder eine Pfütze auf dem Schotterplatz brachte ihn ins Stolpern, es gelang ihm aber, sich auf den Beinen zu halten. Das Einzige, was im Dunkel genug Licht reflektierte, damit er sich orientieren konnte, waren die weißgekalkten Striche auf den Tennisfeldern hinter dem Maschendrahtzaun. Harry erkannte die Umrisse des Clubhauses, Oslo Tennisclub, sprintete zu der Mauer vor der Garderobentür und sprang von ihr runter, als das Licht von zwei Scheinwerfern über die Mauer schweifte. Er fing den Stoß mit den Knien auf und rollte seitlich auf dem Beton ab, trotzdem wurde ihm schwarz vor Augen.
    Dann blieb er mucksmäuschenstill liegen und wartete.
    Er hörte nichts.
    Starrte nach oben ins Dunkel und wurde plötzlich – ohne jede Vorwarnung – geblendet.
    Die Außenlampe an der Unterseite der Veranda hing direkt über ihm, und der Strom war wieder da.
    Harry blieb noch zwei Minuten liegen und lauschte den Sirenen. Auf der Straße vor dem Clubhaus

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