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Die Larve

Die Larve

Titel: Die Larve Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Nesbø
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umso zahlreicher die Wachleute. Irgendwann mischten sich auch die Bullen ein, und da verschwanden die Käufer, und wir waren wieder am Arsch, tagaus, tagein von der Sucht gepeitscht wie von einem rabiaten Sklaventreiber. Ich wusste, dass ich eine verdammt gute Idee brauchte, eine endgültige Lösung. Also tat ich es.
    Oleg habe ich natürlich nichts von alledem gesagt, aber ich habe einen ganzen Tag lang hin und her überlegt, wie ich es anstellen sollte. Dann rief ich an.
    Irene war gerade vom Sport zurückgekommen. Sie schien sich sogar zu freuen, meine Stimme zu hören. Ich redete ohne Unterlass, fast eine Stunde lang, und als ich fertig war, weinte sie.
    Am nächsten Tag ging ich zum Bahnhof und stand auf dem Gleis, als der Zug aus Trondheim einfuhr.
    Sie heulte dicke Tränen, als sie mich umarmte.
    So jung. So besorgt. So kostbar.
    Wie gesagt, ich habe eigentlich nie wirklich jemanden geliebt, das weiß ich. Aber viel gefehlt hat vermutlich nicht, denn in diesem Moment war ich den Tränen selbst verdammt nahe.
    Kapitel 33
    D urch den Fensterspalt des Zimmers 301 hörte Harry irgendwo draußen in der Dämmerung die elf Schläge einer Kirchenglocke. Die Schmerzen in Hals und Kinn halfen ihm wenigstens, wach zu bleiben. Er stand von dem Bett auf, setzte sich auf einen Stuhl und kippte ihn an die Wand neben dem Fenster, so dass er zur Tür schaute, das Gewehr auf dem Schoß.
    An der Rezeption hatte er um eine kräftige Glühbirne und um einen Hammer gebeten. Er hatte vorgegeben, eigenhändig eine Birne wechseln und ein paar Nägel einschlagen zu wollen, die aus der Türschwelle ragten. Anschließend hatte er die schwache Birne auf dem Flur durch die kräftige ersetzt und mit dem Hammer die Türschwelle losgehebelt und entfernt.
    Von dem Platz aus, an dem er jetzt saß, würde er ihren Schatten unter der Tür sehen, wenn sie kamen.
    Harry rauchte noch eine Zigarette. Überprüfte das Gewehr. Rauchte den Rest der Packung. Draußen schlug die Kirchenglocke zwölf Mal.
    Das Telefon klingelte. Es war Beate. Sie hatte inzwischen vier der fünf Listen auftreiben können, die die Streifen bei der Suche in Blindern erstellt hatten.
    »Die fünfte hat ihr Material bereits bei Orgkrim abgeliefert«, sagte sie.
    »Danke«, sagte Harry. »Hast du von Nina im Schrøders die Tütchen gekriegt?«
    »Ja klar. Ich habe in der Rechtsmedizin Druck gemacht, damit die die Sache vorziehen. Das Blut wird gerade analysiert.«
    Pause.
    »Und?«, fragte Harry.
    »Und was?«
    »Beate. Ich höre dir das doch an. Du hast noch mehr.«
    » DNA -Analysen gehen nicht im Handumdrehen, Harry, das …«
    »… ich weiß, es kann Tage dauern, bis das endgültige Resultat vorliegt«, sagte Harry.
    »Ja, deshalb sind die Ergebnisse auch noch unvollständig.«
    »Wie unvollständig?« Harry hörte Schritte auf dem Flur.
    »Also, es gibt noch mindestens fünf Prozent Unsicherheit.«
    »Du hast ein vorläufiges DNA -Profil und einen Treffer in der Datenbank, nicht wahr?«
    »Die vorläufigen Resultate nehmen wir eigentlich nur, um gewisse Leute mit Sicherheit ausschließen zu können.«
    »Wer ist es, bei wem hast du einen Treffer?«
    »Ich würde eigentlich lieber nichts sagen, bis …«
    »Jetzt komm.«
    »Nein. Aber ich kann schon mal sagen, dass es mit Sicherheit nicht Gustos eigenes Blut ist.«
    »Und?«
    »Und dass es nicht von Oleg stammt, okay?«
    »Sehr okay«, sagte Harry und spürte, dass er den Atem angehalten hatte. »Aber …«
    Ein Schatten zeichnete sich unter der Tür ab.
    »Harry?«
    Harry legte die Waffe an. Zielte mit dem Gewehr auf die Tür. Wartete. Dann klopfte es. Dreimal kurz. Er wartete. Lauschte. Der Schatten entfernte sich nicht. Er schlich sich an der Wand entlang zur Tür, um nicht in die Schusslinie zu geraten, und legte das Auge an den Spion in der Zimmertür.
    Er sah den Rücken eines Mannes.
    Die Jacke hing gerade und war so kurz, dass er den Hosenbund sehen konnte. Aus einer Gesäßtasche hing ein schwarzes Stück Stoff. Vielleicht eine Mütze. Aber er trug keinen Gürtel. Die Arme hingen gerade nach unten. Sollte der Mann eine Waffe haben, musste er diese in einem Schulterhalfter vor der Brust tragen oder irgendwie an der Innenseite seiner Beine. Nichts von beidem war sonderlich wahrscheinlich.
    Der Mann drehte sich zur Tür um und klopfte noch zweimal an, dieses Mal härter. Harry hielt den Atem an, während er das verzerrte Gesicht des Mannes studierte. Verzerrt und trotzdem unverwechselbar. Ein ausgeprägter Unterbiss.

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