Die Larve
oder?«
»Blödmann.« Sie küsste ihn auf die Wange, reichte ihm die Zigarette und stand auf. Dann zog sie sich an.
»Du kannst oben bei mir wohnen, weißt du«, sagte sie.
Er schüttelte den Kopf. »Nein, im Augenblick ist es besser so«, sagte er.
»Vergiss nicht, dass ich dich liebe«, sagte sie. »Vergiss das nie. Was auch passiert. Versprichst du das?«
Er nickte und schloss die Augen. Auch beim zweiten Mal fiel die Tür samtweich ins Schloss. Dann öffnete er die Augen wieder und sah auf die Uhr.
Im Augenblick ist es besser so.
Was hätte er denn sonst tun sollen? Mit ihr zurück zum Holmenkollen fahren und dafür sorgen, dass Dubai ihren Spuren folgte und Rakel in diese Auseinandersetzung mit hineingezogen wurde, genau wie damals beim Schneemann? Denn eines war ihm klar: Sie hatten ihn beschattet, seit er wieder ins Land gekommen war. Es war gar nicht notwendig gewesen, sie über diesen Dealer einzuladen. Sie würden ihn finden, bevor er sie fand. Und dann würden sie Oleg finden.
Sein einziger Vorteil war, dass er den Ort bestimmen konnte. Den Tatort. Und er hatte seine Wahl getroffen. Nicht das Plaza, das war nur der Ort für ein kleines Time-out und ein paar Stunden Schlaf – eine Chance, sich zu sammeln. Seine Wahl war auf das Leons gefallen.
Harry hatte überlegt, Hagen zu kontaktieren. Oder Bellman. Ihnen die Situation zu schildern. Aber dann wären sie gezwungen gewesen, ihn zu verhaften. Es war ohnehin nur eine Frage der Zeit, bis die Polizei die drei Beschreibungen, die vom Barkeeper in Kvadraturen, dem Friedhofswachmann und der alten Frau in der Madserud allé, miteinander in Verbindung brachte. Ein Mann, eins dreiundneunzig groß, mit einem Leinenanzug, einer Narbe auf der einen Seite des Gesichts und mit verpflastertem Kinn und Hals. Bald würde er, Harry Hole, auf der Fahndungsliste stehen. Es eilte also.
Er stand stöhnend auf und öffnete den Kleiderschrank.
Zog eine der frisch gebügelten Unterhosen und ein Hemd mit Polospieler an. Warf einen Blick auf die Armani-Hose, schüttelte dann aber leise fluchend den Kopf und zog stattdessen seinen Leinenanzug an.
Dann holte er die Tennistasche herunter, die auf der Hutablage lag. Hans Christian hatte gesagt, das sei die einzige Tasche, in die das Gewehr passte.
Harry warf sie sich über die Schulter, ging nach draußen und hörte die Tür hinter sich mit einem weichen Schmatzen ins Schloss fallen.
Kapitel 32
Ich weiß nicht, ob es überhaupt möglich ist, bis ins Detail zu erzählen, wie das Ganze kippte. Wann das Violin die Macht übernahm und uns mehr im Griff hatte als umgekehrt. So ziemlich alles war in die Hose gegangen, der geplante Deal mit Ibsen und der Coup in Alnabru. Zu allem Überfluss rannte auch noch Oleg mit seiner russischen Deprifresse rum und jammerte, das Leben ohne Irene sei so sinnlos. Nach drei Wochen drückten wir uns mehr, als wir uns leisten konnten. Wir waren sogar high, wenn wir arbeiteten, wohl wissend, dass das schiefgehen würde. Aber das alles hatte bei weitem nicht so viel Bedeutung wie die nächste Spritze. Mag sein, dass sich das wie ein Klischee anhört oder dass es wirklich eines ist, aber es war genau so. So verdammt einfach und so vollkommen verrückt. Ich glaube, dass ich mit ziemlicher Sicherheit von mir sagen kann, nie einen Menschen geliebt zu haben, ich meine, so richtig geliebt. Aber in das Violin war ich hoffnungslos verliebt. Denn während Oleg Violin als Herzmedizin einsetzte, um seine Schmerzen zu betäuben, setzte ich es ein, wie man es einsetzen sollte. Um glücklich zu werden. Ich meine das echt so, wie ich es sage: verdammt glücklich. Das war besser als Essen, Sex oder Schlaf, ja besser als Atmen.
Es war deshalb auch kein Schock für mich, als Andrej mich eines Abends bei der Abrechnung zur Seite nahm und sagte, der Alte mache sich Sorgen.
»It’s okay« , sagte ich.
Er erklärte mir, dass ich mich zusammenreißen und von jetzt an jeden Tag nüchtern zur Arbeit kommen müsse, sonst würde der Alte mich zwangsweise in die Entgiftung schicken.
Ich lachte. Sagte, ich hätte ja keine Ahnung gehabt, dass dieser Job auch so Goodies wie Sozialfürsorge und Krankenversicherung mit sich brachte. Dann fragte ich ihn, ob Oleg und ich jetzt auch Anspruch auf Zahnbehandlungen und eine Rente hätten.
»Not Oleg.«
Sein Blick ließ mich erahnen, was das zu bedeuten hatte.
Ich hatte aber echt nicht die Absicht, wieder richtig nüchtern zu werden. Und für Oleg galt dasselbe. Wir ließen es
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