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Die Larve

Die Larve

Titel: Die Larve Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Nesbø
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Hinrichtung von Gusto benutzt worden war.
    Und ein dritter Gedanke folgte auf dem Fuße. Der Brenner.
    War die Polizei doch nicht so schnell gewesen, wie er angenommen hatte? War das womöglich Dubais Lakai, der da vor ihm saß?
    Harry dachte an das Gewehr hinter dem Schrank. Aber das Weite suchen konnte er jetzt nicht mehr, denn auf dem Flur waren erneut Schritte zu hören. Zwei Personen. Eine davon schwer, denn die Dielen knirschten. Die Schritte hielten vor seiner Tür. Er sah die Schatten von zwei breitbeinig dastehenden Beinpaaren. Natürlich konnte er hoffen, dass es sich um irgendwelche Polizeikollegen Berntsens handelte und sie ihn wirklich festnehmen wollten. Aber er hatte das Jammern des Bodens gehört. Dieser Mann musste groß sein, sehr groß, weshalb ihm wieder die Gestalt in den Sinn kam, die ihn im Frognerparken verfolgt hatte.
    »Kommen Sie schon«, sagte Berntsen, stand auf und stellte sich vor Harry. Dann kratzte er sich beiläufig unter seinem Kragen auf der Brust. »Nur ein kleiner Ausflug, Sie und ich.«
    »So intim wird es kaum werden«, sagte Harry. »Wie ich sehe, bekommen Sie Verstärkung.«
    Er nickte in Richtung der Schatten, die unter der Tür zu erkennen waren. Jetzt war auch noch ein fünfter Schatten zwischen zweien der Beine zu erkennen. Ein länglicher, gerader Schatten. Truls folgte seinem Blick. Und Harry sah die echte, ungespielte Überraschung auf seinem Gesicht. Eine Überraschung, die Truls Berntsen nicht spielen konnte. Diese Leute waren nicht mit ihm hier.
    »Gehen Sie von der Tür weg«, flüsterte Harry.
    Truls hörte auf, seinen Kaugummi zu bearbeiten, und sah auf ihn hinab.
    Truls Berntsen trug seine Steyr-Pistole gerne in einem Schulterhalfter vorne auf der Brust, so dass sie direkt auf seiner Haut lag. Auf diese Weise war sie kaum zu sehen, wenn er vor jemandem stand. Er wusste, dass Harry Hole ein routinierter Ermittler war, der außerdem eine Zusatzausbildung beim FBI in Chicago gemacht hatte und der sofort erkennen und es richtig deuten würde, wenn sich seine Kleider an den üblichen Stellen irgendwie ausbeulten. Truls rechnete nicht damit, seine Steyr benutzen zu müssen, hatte aber trotzdem seine Vorkehrungen getroffen. Sollte Harry sich widersetzen, wollte er zur Pistole greifen, seine Balaklava aufsetzen und ihn mit gezogener Waffe nach draußen geleiten. Auf diese Weise würde ihn später niemand identifizieren können, sollte das Verschwinden Holes überhaupt bemerkt werden. Der Saab stand in einer Nebenstraße, und er hatte sogar die einzige Straßenlaterne eingeschlagen, damit niemand sein Nummernschild erkennen konnte. Fünfzigtausend Euro. Er musste Geduld haben, Stein auf Stein setzen. Und sich dann irgendwann ein Haus noch etwas weiter oben in Høyenhall kaufen, damit er auf sie hinabsehen konnte. Auf sie.
    Harry Hole wirkte kleiner als der Gigant, den er in Erinnerung hatte. Und hässlicher. Blass, unattraktiv, schmutzig und müde. Resigniert, unkonzentriert. Der Job war einfacher, als er sich das vorgestellt hatte. Deshalb war Truls auch spontan verärgert, als Hole ihn flüsternd aufforderte, von der Tür wegzutreten. Wollte der Typ sich jetzt, da alles so gut lief, an irgendwelchen kindischen Tricks versuchen? Gleichzeitig wurde ihm bewusst, dass Polizisten diesen Tonfall nur in echten Krisensituationen benutzten. Keine Ausschmückung oder Dramatisierung, bloß eine neutrale, kalte Äußerung, die unmissverständlich war und die Chance zu überleben beträchtlich erhöhte.
    Wohl aus diesem Grund trat Truls Berntsen – ohne wirklich darüber nachzudenken – einen Schritt zur Seite.
    Im selben Augenblick flog der obere Teil der Tür mit einem Knall in den Raum.
    Noch im Herumschleudern schlussfolgerte Truls Berntsen instinktiv, dass der Lauf der Schrotflinte abgesägt worden sein musste, um auf die kurze Distanz eine solche Streuung zu ermöglichen. Er hatte die Hand bereits unter der Jacke. Mit dem Schulterhalfter in der normalen Position und ohne Jacke hätte er schneller ziehen können, denn dann hätte der Schaft der Waffe nach vorne gezeigt. Mit Jacke war die Position vor der Brust hingegen gut, denn so war die Waffe direkt unter der Öffnung der Jacke.
    Truls Berntsen ließ sich nach hinten auf das Bett fallen und löste die Pistole, riss sie aus dem Halfter und streckte sie mit geraden Armen vor sich, während der Rest der Tür mit einem Krachen aufflog. Hinter sich hörte er das Klirren von Glas, ehe ein neuerlicher Schuss alle anderen

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